Eigentlich dauert die Fahrt von München nach Hamburg mit dem ICE etwas weniger als sechs Stunden. Für die Fahrgäste des ICE 886 am Dienstagmorgen war sie jedoch schon nach gut einer Stunde erst einmal unterbrochen: In Nürnberg bat das Zugpersonal alle Fahrgäste, den Zug zu verlassen.
Das Personal erklärte den Schritt damit, dass der ICE zu dreckig sei und man deswegen ein Zeichen setzen wolle. Die Fahrgäste konnten ihre Reise eine Stunde später in einem anderen, überfüllten Zug fortsetzen.
DB-Mitarbeiter: Ungewöhnlicher Vorfall
Ein Mitarbeiter der Deutschen Bahn (DB) teilte BR24 mit, dass der Vorfall ungewöhnlich sei – vor allem bei einem ICE 4. Er sei einer der modernsten ICE-Züge des Bahnkonzerns, inklusive der Stehplätze können mehr als 1.000 Reisende befördert werden. Der Mitarbeiter, der nicht namentlich genannt werden möchte, geht davon aus, dass die Aktion für großen Ärger gesorgt hat.
Eine Sprecherin der Deutschen Bahn erklärte auf BR24-Anfrage, dass es sich bei dem Ereignis um einen Einzelfall handle. Sie entschuldige sich bei den Reisenden. "Unser Anspruch ist, dass ein Fernreisezug bei einer Fahrt durch ganz Deutschland hohe qualitative Standards erfüllt. Dies war bei dieser Fahrt leider nicht gegeben und die Fortsetzung der Weiterfahrt nach Einschätzung des Bordpersonals nicht zumutbar."
Pro Bahn: Täglich dreckige oder defekte Züge
Der Fahrgastverband Pro Bahn zeigt auf Anfrage von BR24 Verständnis für die Entscheidung des Zugpersonals, die Fahrt zu unterbrechen. "Täglich kommen Züge dreckig und defekt wieder aus dem Werk und das Zugpersonal muss damit irgendwie klarkommen. Dass es dann irgendwann mal reicht, wenn der Ausnahmezustand zum Alltag wird, darf nicht verwundern", sagt Lukas Iffländer, Landesvorsitzender von Pro Bahn Bayern.
Auch die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) kennt das Problem. Im Zuge eines Sanierungsprogramms der Bahn sei massiv bei den Reinigungsdienstleistungen gespart worden, sagt ein EVG-Sprecher. "Züge sollen seltener gereinigt werden, das Reinigungspersonal soll schneller arbeiten. In der Theorie der Bahn-Spitze soll das dann effizienter sein, in der Praxis führt das aber zu Chaos und teils stark verschmutzen Zügen. Dass die wenige Zeit für die Reinigung von Zügen durch Verspätungen oftmals noch weiter verknappt wird, verschärft das Problem."
Auf den konkreten Fall bezogen, betont ein Sprecher der Bahn allerdings, dass der Zug versehentlich "ohne Reinigung in den Einsatz" gelangt sei. Man prüfe intern, "was hier schiefgelaufen ist, um solche Fehler künftig ausschließen zu können." Klar sei auch: "An der Reinigung unserer Züge sparen wir nicht!"
Iffländer: Schlechte Stimmung beim DB-Personal
Iffländer zufolge gehe das Personal jedoch schon länger über die eigenen Grenzen hinaus. So seien in der Vergangenheit etwa "Fan-Fußabtreter, die in den ICEs zur EM ausgelegt wurden, von vielen Zugteams zur Überdeckung von Erbrochenem eingesetzt worden, um die Züge irgendwie doch noch fahren zu können." Der Verband registriere "insbesondere beim Fernverkehr eine noch größere Verstimmung des Personals als sonst."
Aus Spargründen seien vielerorts im DB Konzern Grillfeste im Sommer abgesagt worden, gleichzeitig mache das Management auf den eigenen Veranstaltungen teure Shows. Iffländer spricht sogar von der "inneren Kündigung des Personals", die inzwischen eher die Regel sei, als die Ausnahme. Der Appell von Pro Bahn: "Die Bundesregierung als Eigentümerin muss hier dringend eingreifen, sonst ist DB Fernverkehr nach DB Cargo der nächste Sanierungsfall."
Diese Fahrgastrechte gelten
Finanziell hat die abgebrochene Fahrt in jedem Fall Konsequenzen für die DB. Bei Verspätungen muss sie Entschädigungen zahlen: Ab einer Stunde Verspätung am Zielbahnhof stehen jedem Fahrgast 25 Prozent des Fahrpreises für die einfache Fahrt zu. Ab zwei Stunden sind es 50 Prozent des Preises.
Zudem kann man Sitzplatzreservierungen erstatten lassen, wenn man diese nicht in Anspruch nehmen konnte – etwa weil der Zug ausgefallen ist. Die Beantragung der Entschädigungen funktioniert online über das DB-Kundenkonto oder die App "DB Navigator", sowie per Post mit dem Fahrgastrechteformular (externer Link). 2024 hat das Eisenbahnunternehmen rund 197 Millionen Euro Entschädigungen an Kunden gezahlt – eine Rekordsumme. Der Sprecher der DB betonte, Fahrgästen aus dem ICE 886 Richtung Hamburg sei eine Stunde später eine alternative Reisemöglichkeit angeboten worden.
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