Um zu zeigen, wo er die Gefahr sieht, steigt Wolfgang Epple die 169 Stufen auf den Aussichtsturm am Ebersberger Forst hinauf. Weit über den Baumwipfeln sollen sich künftig fünf Windräder drehen, je 267 Meter hoch, fast so hoch wie der Münchner Olympiaturm. Ein Horrorszenario für den Biologen vom Verein Naturschutzinitiative. Er sieht die Errungenschaften aus 50 Jahren Naturschutz und die Artenschutzziele der Bundesregierung in Gefahr.
"Es ist absurd, diesen Wald für Windkraft herzugeben, der doch die Voraussetzung dafür ist, dass hier in der Metropolregion München Natur überhaupt noch sein kann."
Starker Rückgang bei Tier- und Pflanzenpopulationen
Auch Tierschützer aus der Region weisen auf das Problem hin: Die Bestände vieler Tier- und Pflanzenarten sind in den vergangenen Jahrzehnten weltweit stark zurückgegangen. Hauptursache: Der Verlust natürlicher Lebensräume. Die Ansicht der Experten: Ja zum Kampf gegen den Klimawandel, nein zu Windrädern in den letzten zusammenhängenden Wäldern Bayerns.
"Wir haben den Wespenbussard da, den Schwarzstorch", erklärt Benedikt Sommer vom Landesbund für Vogel- und Naturschutz (LBV). "Die fliegen hoch und die ziehen nur ein, zwei Jungvögel pro Jahr groß. Wenn ein Windrad diesen Nachwuchs trifft, ist die Population deutlich beeinträchtigt."
Kerstin Mertens von der Schutzgemeinschaft Ebersberger Forst ergänzt: "Man hat festgestellt, dass auch Waldfledermäuse, die nicht auf Rotorhöhe fliegen, geschädigt werden, weil sie Vermeidungsverhalten zeigen, 400 Meter rund um Windräder."
Ampel erleichterte Bau von Windrädern
Der Ebersberger Forst ist deutlich größer als der Chiemsee und fast komplett als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen. Hier Windräder zu bauen, sei seit dem Wind-an-Land-Gesetz der Ampelregierung deutlich leichter geworden, sagt der Ebersberger Landrat Robert Niedergesäß (CSU). Denn der Landschaftsschutz muss unter gewissen Umständen nicht mehr in einem komplizierten Verfahren außer Kraft gesetzt werden.
"Für uns war das ein großer Planungs- und Organisationsvorteil", sagt Niedergesäß. "Natürlich ist der Forst ohne Windräder schöner, aber wenn wir den Klimawandel nicht bekämpfen, wird auch die Natur drunter leiden."
Dieser Meinung schließt sich Michael Waldherr an. Er ist stellvertretender Leiter des Staatlichen Forstbetriebs Wasserburg und auch für den Ebersberger Forst zuständig. Natürlich sehe er das skeptisch, weil der Bau von Windrädern mit Eingriffen verbunden sei, sagt er. Aber der Mensch habe den Wald schon immer genutzt, auch um Energie zu produzieren. "Wir werden die Windräder brauchen. Die Alternative ist, dass wir die Energiewende nicht hinbekommen. Dann sind die Auswirkungen auf unseren Wald wesentlich größer."
Landschaftsarchitekt plädiert für intelligente Lösungen
Neben ihm steht Sören Schöbel und nickt zustimmend. Schöbel ist Landschaftsarchitekt sowie Professor an der TU München. Windkraft sei nachhaltig, findet er, und passe deshalb zu einer nachhaltigen Waldnutzung. Schöbel lebt im Landkreis Ebersberg, hat in seinem Wohnort schon einmal für die Grünen für den Gemeinderat kandidiert. Seit vielen Jahren berät er Kommunen und Investoren bei den Planungen von Windparks und hat auch für Ebersberg ein Gutachten erstellt und sich darin für Windräder ausgesprochen. Seine Überzeugung: Mit intelligenten Lösungen lassen sich Klima- und Artenschutz im Wald vereinen.
"Wir haben Bereiche, in die gehören keine Windräder hin. Das ist da, wo wir tatsächlich eine Population in einer bestimmten Region gefährdet sähen. Ich würde niemals Windenergieanlagen befürworten, die in der Nähe von Adlerverbreitungsgebieten sind. Beim Rotmilan aber weiß man zum Beispiel inzwischen, dass, wenn man bestimmte Bewirtschaftungen in der Flur organisiert, die Menge viel stärker zunimmt als sie durch Schläge durch Windenergieanlagen abnehmen könnte."
Knapp 200 Windräder in den Wäldern südlich von München?
Für ein Windrad wird nach übereinstimmenden Angaben mehrerer Anlagenbetreiber durchschnittlich ein halber Hektar Wald benötigt. Verbaut werden 3.000 Tonnen Stahl und Beton. Dazu kommen die Zufahrtswege, die für die Schwertransporte verbreitert und verdichtet werden. Der Planungsverband München hält bis zu 56 Windräder im Ebersberger Forst für möglich und in zwei weiteren Waldgebieten südlich von München nochmal bis zu 130, auch wenn sich der Ebersberger Landrat öffentlich auf ein Limit von fünf Windrädern verpflichtet hat. Dann könne man den Forst abschreiben, fürchten die Umweltschützer Mertens und Sommer.
Windräder lieber in vorbelastete Gebiete?
Wie es aus seiner Sicht besser gehen könnte, zeigt Vogelschützer Sommer in einem Gewerbegebiet an der A94 bei Forstinning, wenige Kilometer westlich des Forsts: Er führt auf eine Brachfläche zwischen der Autobahn und einem Kranverleih. "Man muss an Flächen gehen, wo eh schon der Lärm ist, wo zugebaut ist. Es wäre für den Artenschutz deutlich besser, wenn hier ein Windrad stünde und nicht im Ebersberger Forst."
Im Video: Windräder im Wald - Sinnvoll oder Gefahr für Artenschutz?
Windräder im Wald - Sinnvoll oder Gefahr für Artenschutz?
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht's zur Anmeldung!