Mehr Kontrollen und Zurückweisungen an den deutschen Außengrenzen: Die neue Bundesregierung hat den Kurs in der Asylpolitik nur wenige Stunden nach ihrem Amtsantritt drastisch verschärft. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die zum Thema Migration forschen, kritisieren in einem neuen Bericht dieses Vorgehen scharf. Sie fordern stattdessen, die Ursachen von Flucht und Vertreibung stärker in den Blick zu nehmen.
Forscher: Globale Dimension von Flucht wird in Deutschland ignoriert
"Die deutsche Flüchtlingspolitik wird den globalen Herausforderungen nicht gerecht", sagte etwa der Fluchtforscher Benjamin Etzold bei der Vorstellung des Reports Globale Flucht 2025 in Berlin. Die Dimension von Flucht und Vertreibung weltweit werde "weitestgehend ignoriert", jenseits von Deutschland liegende Herausforderungen würden zu wenig beachtet.
Etzold ist Wissenschaftler am Bonn International Centre for Conflict Studies und hat den Bericht zusammen mit anderen Forschern herausgegeben. Aus seiner Sicht sind die Lebensumstände in den Herkunfts-, Transit- und Erstaufnahmestaaten von Geflüchteten maßgeblich für Fluchtentscheidungen. "Menschen fliehen vor Gewalt, Krieg und politischer Repression und aus der Armut heraus. Sie fliehen, um ihr Leben zu schützen", so Etzold.
Forscherin: Zurückweisungen "ganz klar ein Rechtsbruch"
Nationale Gesetzgebung spiele hingegen kaum eine Rolle. Deshalb habe auch die Ausweitung der Kontrollen an den deutschen Außengrenzen keinen Einfluss auf die weltweiten Fluchtbewegungen. "Diese nationale Engführung der Diskussion steht wirklichen Lösungen im Weg", betonte der Experte.
Fluchtforscherin Petra Bendel erklärte zudem, Asyl- und Fluchtrecht sei "gar nicht national bestimmbar - europäisches Recht ist bindend und hat Vorrang". Um die Rechtmäßigkeit von Zurückweisungen zu prüfen, müssten deshalb verschiedene EU-Verträge wie die Dublin-Verordnung und die europäische Rückführungsrichtlinie betrachtet werden. Die Fluchtforscherin von der Universität Erlangen-Nürnberg kommt dabei zu dem Ergebnis, dass die Zurückweisungen "ganz klar ein Rechtsbruch" seien.
Auch Franck Düvell von der Universität Osnabrück sieht "Abwehrmaßnahmen" wie verschärfte Grenzkontrollen und Zurückweisungen kritisch. "Wenn jemand zurückgewiesen wird, versucht er es nochmal und nochmal und nochmal, bis man dann im Lande ist", betonte er. Wenn eine Fluchtroute geschlossen werde, gebe es zudem eine andere, neue Route, die oft gefährlicher sei. Davon würden vor allem kriminelle Akteure wie Schmuggler profitieren.
Fluchtexperten warnen vor erneutem Anstieg der Flüchtlingszahlen
Auch wenn zuletzt die Zahl der Geflüchteten in Deutschland zurückging, ist das den Experten zufolge Beweis dafür, dass das auch so bleibt. "Was wir nicht sehen in der Forschung, in der Statistik, ist eine langfristige Wirkung, ein langfristiger Rückgang der Zahlen", sagte Düvell. Diese gingen nur kurzfristig zurück – "das stellt genau die Wirkung solcher Maßnahmen in Frage". Der Forscher forderte stattdessen, die Ursachen in den Blick zu nehmen, die die Menschen in ihren Herkunftsländern zur Flucht bewegen. Dies wiederum sei eine Frage der Entwicklungspolitik.
Ähnlich äußerte sich sein Kollege Etzold. Eine effektive Bekämpfung von Fluchtursachen bedeute, die Lebensbedingungen und Zukunftsperspektiven von Schutzsuchenden dort substanziell zu verbessern. "Nur rechtliche Sicherheit und verbesserte Lebensperspektiven vor Ort können den Druck zur Weitermigration verringern und somit auch einer irregulären Migration nach Deutschland vorbeugen", so Etzold.
Deutschland soll bei multilateraler Flüchtlingspolitik vorangehen
Der Fluchtforscher beklagte, dass Schutzsuchende in vielen Ländern dauerhaft ohne Integrationschance in Flüchtlingslagern festgesetzt würden. Mit Blick auf die Integration in Deutschland sei es wichtig, Teilhabe möglich zu machen, etwa in Bildung, Beruf und im Gesundheitsbereich.
Etzold warb zudem dafür, die multilaterale Flüchtlingspolitik wiederzubeleben, notfalls auch ohne die USA. Beispielsweise bleibe die Umsetzung des Globalen Pakts für Flüchtlinge der Vereinten Nationen von 2018 bislang hinter den Erwartungen zurück. Hier müsse Deutschland vorangehen.
Im Video: Interview mit Migrationsforscherin Bendel
Petra Bendel ist eine der Autorinnen des Reports "Globale Flucht 2025" und dazu der Moderatorin Ursula Heller zugeschaltet.
Mit Material von dpa, AFP und epd
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