Szene aus dem Sachcomic "Die Frau als Mensch" von Ulli Lust
Bildrechte: Ulli Lust/Reprodukt

Szene aus dem Sachcomic "Die Frau als Mensch" von Ulli Lust

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Ulli Lust: "Die Frau als Mensch" erhält Deutschen Sachbuchpreis

Der Mann geht jagen, die Frau bleibt zu Hause. So soll es früher schon gewesen sein. Aber stimmt das? Im Comic "Die Frau als Mensch" entwirft Ulli Lust einen anderen Blick auf die Frühzeit des Menschen. Und bekommt dafür den Deutschen Sachbuchpreis.

Über dieses Thema berichtet: Bayern 2 Die Welt am Morgen am .

Weil ihr Comic-Sachbuch einen neuen Blick auf Mann und Frau ermöglicht, erhält die österreichische Comiczeichnerin Ulli Lust jetzt für ihr Werk "Die Frau als Mensch" den Deutschen Sachbuchpreis 2025. Eine Jury wählte "Die Frau als Mensch. Am Anfang der Geschichte" (Reprodukt) am Abend in Hamburg unter den acht nominierten Büchern für die mit 25.000 Euro dotierte Auszeichnung aus.

Jury Deutscher Sachbuchpreis: Blick auf den Menschen als Mann ist revisionsbedürftig

"Der lange Zeit vorherrschende Blick auf den Menschen als Mann ist grundlegend revisionsbedürftig, und das zeigt dieses Buch anhand eines originellen Ineinandergreifens von wissenschaftlichen Erkenntnissen aus Archäologie, Anthropologie und Kunstgeschichte, immer wieder inspiriert von Alltagserfahrungen", heißt es in der Begründung der Jury. "Mit diesem vielschichtigen Zugang vermag Ulli Lust festgefahrene Vorstellungen aufzubrechen." Das gelte auch für das Genre des Sachbuchs, das durch die virtuose Verbindung von Bild und Wort auf das Schönste erweitert werde.

Beschäftigung mit den frühen Kulturen in Europa

"Die Frau als Mensch", das auf zwei Bände angelegte Comic-Projekt von Ulli Lust, ist einerseits eine Auseinandersetzung mit der Kunst von frühen und nomadischen Gesellschaften. Ebenso geht es um die Gesellschaften selbst, um ihre Lebensformen, ihren Umgang mit der Natur, um Religionen und Rituale. Ulli Lust hat sich intensiv mit den frühen Kulturen in Europa beschäftigt. Aber nicht nur mit ihnen: sie erzählt auch von den Indigenen in Nordamerika, von der Jomon-Kultur in Japan und, auf die Gegenwart blickend, von den Khoisan im Süden Afrikas. Dort jagen Männer und Frauen beispielsweise gemeinsam.

Heute, auch das thematisiert Ulli Lust auf ihren stets auf Papier gezeichneten vielschichtigen Comic-Seiten, ist dieses Volk, das in Botswana lebt, bedroht: "Die haben in den vergangenen 20 Jahren eine massive Verdrängung erfahren, weil die unberührten Gebiete, die noch Naturschutzgebiete waren, jetzt auch Begehrlichkeiten geweckt haben. Bodenschätze, Jagd, Wild, Tourismus – alles ist wichtiger als der Schutz von diesen Buschleuten." Also wurden sie aus ihren Lebensräumen vertrieben. Dies sei ein gutes Beispiel dafür, wie viele Nationen mit ihren indigenen Gemeinschaften umgehen, sagt Lust.

Bildrechte: Barbara Dietl
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Die Comickünstlerin Ulli Lust

Zu den grafischen Streifzügen durch die Geschichte der frühen Kulturen kommen insbesondere am Anfang autobiographische Passagen. Hier eine Kindheitserinnerung, der Blick auf eine Figur des Gekreuzigten und eine Maria. Dort ein Museumsbesuch, im British Museum, bei den antiken Plastiken. Freizügige Männerkörper – und eine Aphrodite, die sich zusammenkauert, ihre Scham verbergend: der Gegenentwurf zur Kunst der Urzeit.

Ein Erzählkunstwerk voller Bilder

Mehr und mehr erzählt der Comic, wie die Menschen in frühen und indigenen Kulturen gelebt haben könnten und gibt insbesondere den Frauen ein Gesicht. Ein Leitmotiv in der Geschichte: Kooperation und mehr noch Empathie.

"Die Fähigkeit zum Mitgefühl war überhaupt der Grund, warum wir als Spezies überlebt haben. Es ist absolut keine Schwäche. Wir können uns darauf besinnen. Und diese innere Haltung hilft auch zu verstehen, warum die Frauen in der Urgesellschaft wahrscheinlich respektiert wurden", so Lust. Denn die Grundlage von Fähigkeiten zum Netzwerken, Tauschen und Teilen sei eben die Empathie.

Ulli Lusts Sachcomic "Die Frau als Mensch" ist Zeit- und ebenso Entdeckungsreise. Ein Erzählkunstwerk voller Bilder, voller Geschichten. Und eine Anregung, Vorstellungen über angeblich biologisch zementierte Rollenbilder in Frage zu stellen. Der Blick auf die Urgesellschaft ist noch immer zu sehr vom 19. Jahrhundert bestimmt. Ein Hoch auf die Frauen!

Der Text ist ursprünglich am 10.02. anlässlich der Buchpremiere in der "Comic Bar" in der Münchner Stadtbibliothek erschienen. Jetzt wurde er anlässlich der Auszeichnung als Sachbuch des Jahres 2025, etwas geändert, erneut publiziert.

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