Martin Oswald setzt seinen grünen Hut mit den eingesteckten roten Blumen an der Seite auf, schließlich ist Fronleichnam. Seit 25 Jahren zieht er sich dazu immer die traditionelle Kleidung der Schützen an. So lange schon ist er bei der Schützenkompanie Gaißach im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen dabei. Mittlerweile ist er ihr Hauptmann.
Zu dem katholischen Feiertag 60 Tage nach Ostern gehören traditionell Blumenteppiche und Prozessionen und – seit Martin Oswald denken kann – noch etwas: "Nach dem Evangelium wird Salut geschossen." Die Schüsse aus den Flinten der Schützenkompanie gehen dann in jede Himmelsrichtung. "In alle Himmelsrichtungen beschützen wir symbolisch das Dorf. Das finde ich einen schönen Gedanken. Und das darf man auch hören", sagt Oswald.
Fronleichnam als Abgrenzung für Katholiken
"Große Feste wurden eben immer auch mit den berühmten Pomp gefeiert", sagt Manfred Heim, Professor für Bayerische Kirchengeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Besonders nach der Reformation wurde das Zelebrieren von Fronleichnam noch wichtiger für die Katholiken. "Da hat Fronleichnam nochmal einen besonderen Akzent bekommen, um das konfessionelle Element, also das katholische, herauszukristallisieren gegenüber dem evangelischen", sagt Manfred Heim. Denn der Reformator lehnte die prunkvollen Prozessionen zu Fronleichnam ab. Für Katholiken ist Fronleichnam ein Hochfest, das die leibliche Gegenwart Christi in der Eucharistie betont. Im Zentrum der Prozession steht deshalb die geweihte Hostie in einem Schaugefäß.
Die konfessionelle Abgrenzung wurde teils bis Mitte des 20. Jahrhunderts "gepflegt". So gibt es Berichte von evangelischen Landwirten, die entlang katholischer Prozessionen gerne ihren Kuhmist aufs Feld brachten. Hingegen waren die weithin hörbaren Böllerschüsse bei der Prozession ein Statement der Katholiken.
Anhaltende Kritik an Tradition des Schießens
Doch die Tradition des Schießens steht in der Kritik. Beim Bayerischen Landesverein für Heimatpflege gehen seit einigen Jahren Anfragen von Mitgliedern ein, ob Schießen oder Böllern an Fronleichnam noch zeitgemäß sei. Und die landen dann bei Daniela Sandner. Die promovierte Kulturwissenschaftlerin hat einen eigenen Ordner zu dem Thema angelegt. Zehn Zentimeter ist sei er mittlerweile dick, sagt sie.
"Traditionen können schlecht oder gut sein. Die Bewertung liegt eigentlich bei der Gemeinschaft", sagt Daniela Sandner. "Bräuche sollten vor allem eines tun: sie sollen Gemeinschaft stiften." Aber so einig, dass das Schießen an Fronleichnam für alle etwas schönes ist, ist man sich in Bayern längst nicht mehr.
Fürstenfeldbruck: Ein letzter Schuss und dann war Schluss
Mancherorts geht man soweit das Schießen abzuschaffen – so geschehen 2012 im Pfarrverband Fürstenfeldbruck. "All die Menschen, die bei der Prozession dabei sind, haben es eigentlich zum Großteil als zu laut und als verstörend empfunden", sagt Birgitta Klemenz, Vorsitzende des Pfarrverbands. Daneben sieht sie noch einen Grund, der gegen das Schießen spricht: "Wenn wir auf den Ukraine-Krieg blicken und darauf, wie es heute bei uns in der Welt zugeht, dann ist es eigentlich umso fragwürdiger, mit Böllerschießen dem Herrgott die Ehre zu erweisen." Den Vereinen, sei das jedoch nicht leicht zu vermitteln gewesen.
Verbot muss nicht die Lösung sein
Kulturwissenschaftlerin Daniela Sandner glaubt nicht, dass ein bayernweites Verbot des Schießens nötig sei: "Möglich wäre ja auch eine angepasste Brauchform. Man könnte das Schießen reduzieren. Oder weit genug weg von den Häusern gehen." Bräuche veränderten sich ohnehin stetig seien niemals starr.
In Gaißach verlässt Martin Oswald das Haus. Denn gleich geht es los zum Fronleichnamszug. Mit dabei sein Gewehr für die Salut-Schüsse. "Das war halt schon immer so. Mir persönlich gefällt das gut", sagt Martin Oswald und legt sich die Flinte aufs die Schulter.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.