Thomas Wasilewski, Bürgergeldbezieher und Ehrenamtlicher bei Tafel Deutschland e.V.
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Thomas Wasilewski, Bürgergeldbezieher und Ehrenamtlicher bei Tafel Deutschland e.V.

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Bürgergeld-Studie: Leistung reicht oft nicht zum Sattwerden

Die Hälfte der Eltern, die Bürgergeld beziehen, verzichten am Monatsende auf Essen, damit ihre Kinder satt werden. Das zeigt eine Studie von "Sanktionsfrei e.V.". Der Verein kritisiert die Verschärfungen, die die Bundesregierung plant.

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Thomas Wasilewski kann nicht mehr arbeiten, seit über zehn Jahren ist er erwerbsunfähig und bezieht Bürgergeld. "Verzicht gehört für mich zum Leben dazu", sagt er. Mit drei Kindern fehle es jeden Tag an etwas, besonders am Monatsende sei es schwierig, "wenn der Kühlschrank leer ist". Zusatzkosten wie Schulbücher für seine Kinder kann er mit dem Regelsatz des Bürgergeldes nicht finanzieren.

Bürgergeld reicht kaum für Grundbedürfnisse aus

563 Euro sieht der Regelsatz des Bürgergeldes pro Person im Monat vor. Das ist zu wenig für ein würdevolles Leben, sagen über 70 Prozent der Betroffenen, die im Auftrag von "Sanktionsfrei" befragt wurden. Der gemeinnützige Verein setzt sich für eine menschenwürdige Grundsicherung ein. Für die Studie wurden 1.014 Bürgergeldbeziehende im Alter von 18 bis 67 Jahren befragt.

Viele der Befragten können mit dem Geld selbst Grundbedürfnisse nicht ausreichend finanzieren, schon gar nicht Extraausgaben wie Stromnachzahlungen. Für die Mehrzahl der Betroffenen stellt das eine enorme psychische Belastung dar.

VdK Bayern: Regelsatz muss sich an Bedarf orientieren

Die Ergebnisse der Studie decken sich mit den Erfahrungen von Nicolas Graßy, Referent für Sozialpolitik beim Sozialverband VdK Bayern. Vor allem die Inflation mache Betroffenen zu schaffen. "Der Regelsatz muss sich an den tatsächlichen Bedarfen der Leute orientieren", fordert Graßy. Wer zum Beispiel auf Medikamente angewiesen ist, hat höhere Ausgaben als andere Menschen. Zudem kommen in Großstädten wie München Mangel an günstigen Wohnungen und hohe Lebenskosten dazu. Hier wäre laut Graßy eine regionale Anpassung denkbar, ähnlich wie bei der Grundsicherung im Alter.

In Bayern bezogen im November 2024 laut Bundesagentur für Arbeit über 447.000 Menschen Bürgergeld. Dazu zählen auch Kinder und Menschen, die nicht arbeiten können. Über 325.000 Personen wären erwerbsfähig – von Ihnen arbeiteten rund 20 Prozent, sie stocken also ihren Lohn mit Bürgergeld auf, weil er zu niedrig ist.

Bürgergeldempfänger: Mehrheit will finanziell unabhängig werden

Die Studie von "Sanktionsfrei" zeigt auch: Die meisten Befragten möchten vom Bürgergeld unabhängig werden. 74 Prozent geben an, dass sie ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten möchten, viele schämen sich dafür, Bürgergeld zu beziehen. Aber nur ein Drittel der Befragten ist zuversichtlich, Arbeit zu finden. Körperliche Einschränkungen oder psychische Belastungen stellen für sie eine Hürde bei der Arbeitssuche dar.

Das Bild der Bürgergeldempfangenden als Totalverweigerer hat laut Helena Steinhaus, Vorstand des Vereins "Sanktionsfrei", demnach nichts mit der Realität zu tun. Sie fordert, die Bedürfnisse der Betroffenen in den Mittelpunkt zu stellen und dass die Regierung die geplanten Verschärfungen stoppt.

Union und SPD wollen neue Grundsicherung verschärfen

Union und SPD haben im Koalitionsvertrag eine Reform des Bürgergeldes angekündigt, das in "Neue Grundsicherung für Arbeitssuchende" umbenannt werden soll. Dabei sollen unter anderem Sanktionen verschärft werden. Wer zum Beispiel angebotene Stellen ablehnt, soll die gesamten Leistungen verlieren können.

Im Hinblick auf die Studie betont CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann, dass es bei der Reform nicht um Regelsätze und einzelne Sanktionsmechanismen gehen werde. Es brauche eine große Reform, die jene unterstützt, die nicht mehr arbeiten können. Gleichzeitig muss es ein System geben, in dem "derjenige, der arbeiten kann, auch arbeiten gehen muss".

DIW warnt vor Sparmaßnahmen

Marcel Fratzscher, der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), bezeichnet die Pläne der Regierung als "gefährlichen Irrweg". Er warnt vor Kürzungen und Sparmaßnahmen. Betroffenen würde dadurch die soziale Teilhabe geraubt und damit die Arbeitsaufnahme erschwert werden. Das sei auch für die Wirtschaft kontraproduktiv, die dringend Arbeitskräfte brauche.

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