Zwischen Souvenirs und Gipfelkreuz flanieren auf der Zugspitze, Deutschlands höchstem Berg, jedes Jahr mehr als eine halbe Million Besucherinnen und Besucher. Für die beliebten Selfies am Gipfelkreuz wurde in der Bergstation ein zweites Kreuz aufgestellt. Auch der Eibsee am Fuß der Zugspitze gehört zu Bayerns beliebtesten Ausflugszielen. Besonders im Ferienmonat August bildeten sich in diesem Sommer lange Verkehrsstaus, an den Bushaltestellen kam es regelrecht zu Tumulten. Die zuständige Gemeinde Grainau lässt gerade prüfen, ob eine Zutrittsbeschränkung rechtlich möglich ist. Die Hürden sind hoch, in Bayern gilt das freie Betretungsrecht der Natur.
Stundenlange Staus in den Alpen
Wie man Besucherströme lenken kann, untersucht Professor Thomas Bausch mit Studierenden an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in München. In einer Studie über die Region um Garmisch-Patenkirchen werden dort Daten erhoben, die die Grundlage für ein Prognose-System bilden sollen. So könne man beispielsweise bei großem Andrang auf die Menschen einwirken, ein anderes Ziel anzufahren. "Wohl wissend, dass manche dies als Bevormundung empfinden. Anscheinend finden es viele nicht schlimm, stundenlang im Stau zu stehen, um drei Minuten ein Selfie an einem See zu machen", sagt Bausch. Am Pragser Wildsee in Südtirol gibt es deswegen schon Verkehrsbeschränkungen, weil der Ort an schönen Tagen völlig überlaufen ist.
Aber nicht nur in den Alpen taucht dieses Problem auf, auch in den Anden in Südamerika. So kann man beispielsweise den Machu Picchu in Peru nur nach Voranmeldung besteigen.
Besucher-Stopp und Eintrittsgeld
Auch die Zugänge zu den populären Trekking-Routen der "Great Walks" in Neuseeland sind limitiert. Überfüllung herrscht auch auf Japans heiligem Berg, dem 3.776 Meter hohen Fuji. In der Hauptsaison ist die Besucherzahl dort auf 4.000 pro Tag beschränkt worden. Die Vertreter des regionalen Tourismusverbands sehen den Andrang insgesamt kritisch, weil viele Wandernde schlecht ausgerüstet und nicht gut vorbereitet seien. Overtourism, Overvisiting, Verträglichkeits- oder Belastungsgrenze – es gibt verschiedene Begriffe für dasselbe Problem mit unterschiedlichen Lösungsansätzen. Eintrittsgelder in Nationalparks in Kanada und den USA sind schon lange üblich, ob im Yosemite Valley, dem Yellowstone Nationalpark oder am Grand Canyon. Die Preise steigen teilweise – vor allem für ausländische Gäste.
Instagrammability im Trend
Über eine Publikumslenkung per KI denkt Professor Jürgen Schmude nach. Der Tourismusforscher an der LMU in München sieht darin eine gute Möglichkeit, allerdings mit zwei Einschränkungen: "Zum einen brauchen wir Daten, auf denen diese KI basiert wie beispielsweise die digitale Erfassung der Parksituation. Zum anderen müssen die Reisenden auch solche Tools nutzen, damit eine Steuerung funktioniert." Gleichzeitig sind Social Media Apps ein Teil des Problems. Denn laut Umfragen wählen zwei Drittel der Befragten ein Reiseziel über Anregungen auf Instagram, TikTok und Facebook aus. Und für fast die Hälfte junger Nutzerinnen und Nutzer ist die "Instagrammability", also die Social-Media-Tauglichkeit, entscheidend.
Reiseverhalten kritisch hinterfragen
Diesen Trend beobachtet Professor Torsten Kirstges, Tourismusforscher an der Jade Hochschule in Wilhelmshaven: "Wenn ein Reiseziel vielfach geliked wird, dann führt es im nächsten Schritt dazu, dass viele Menschen ebenfalls dorthin reisen wollen." Solche Effekte entstehen auch, wenn Filme oder Serien an einem schönen Natur-Highlight gedreht werden.
Deshalb sei es wichtig, dass man sein eigenes Reiseverhalten kritisch hinterfrage, auch was den Reisefußabdruck angehe, sagt Schmude von der LMU. Reiseanbieter sollten verstärkt Angebote für die Nebensaison und für weniger überlaufene Ziele machen.
Beschränkungen unumgänglich?
Doch Appelle wie klimafreundliche Anreise und umweltgerechtes Verhalten verhallen oft ungehört. Das erlebt auch Bürgermeister Stephan Märkl aus Grainau, am Fuße der Zugspitze: "Es ist nahezu unvorstellbar, wie viel Müll unsere Bauhof-Mitarbeiter am Eibsee einsammeln müssen." Das Müll-Problem gibt es auch am Mount Everest, am Kilimandscharo, am Mont Blanc und anderswo. Für Tourismusforscher Kirstges helfen am Ende nur Reglementierungen wie beispielsweise Eingangskontrollen, Ticketsystem oder Schranken. Doch das führe mitunter zu Protesten, sowohl seitens der Besucher als auch derer, die vom Tourismusgeschäft leben.
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