"Beladen vorbereiten! Munitionskanonier und Richtkanonier absitzen", weist der Kommandant einer Panzerhaubitze seine Besatzung an. Die Männer sollen das Geschütz beladen. Sie wuchten mehr als 40 Kilo schwere Artilleriegranaten heran. Acht Stück betrage das Soll, meldet einer. Dann schluckt eine automatisierte Ladevorrichtung jede einzelne Granate, lässt sie mit einem Zischen im Bauch der Panzerhaubitze 2000 verschwinden. Die Männer üben einen Standard-Ablauf – etwas, das sitzen muss.
Ihr Geschütz steht in einer Halle in der Major-Radloff-Kaserne in Weiden in der Oberpfalz. Bei dieser Ausbildung Ende Januar 2024 ist die Kaserne seit rund 100 Tagen die Heimat des jüngsten bayerischen Bataillons. Im Oktober 2023 wurde hier das Panzerartilleriebataillon 375 neu aufgestellt. Es untersteht der Panzergrenadierbrigade 37.
Beispielhafter Blick nach Weiden lohnt
Ein beispielhafter Blick auf den Verband lohnt – schließlich stehen der Bundeswehr wohl noch weitere Neuaufstellungen bevor. Die Nato verlangt deutlich mehr von Deutschland, um Russland durch die Demonstration eigener Stärke von einem Angriff abhalten zu können.
Rund eineinhalb Jahre nach der Neuaufstellung in Weiden zieht Brigadekommandeur David Markus im BR-Interview im April ein gemischtes Fazit. Markus lobt Einsatz und Engagement der Männer und Frauen vor Ort. Der Brigadegeneral räumt aber ein, dass es bis zur vollen Einsatzbereitschaft noch dauere. Er wagt einen Vergleich; sagt, ein Haus stehe nie von vorneherein – das sei ganz normal. Es sei immer noch etwas zu tun – ob nun am Garten oder am Carport. Und so sei das Bataillon eben auch noch nicht zu 100 Prozent aufgefüllt, weder personell noch materiell.
Noch immer: Ausrüstung statt Aufrüstung
Konkret heißt das: Dem Bataillon fehlen noch immer Soldatinnen und Soldaten sowie eigene Geschütze in ausreichender Anzahl. Sollte es eingesetzt werden, etwa weil es zu Spannungen oder gar einem russischen Angriff auf das Baltikum kommt, müssten Panzerhaubitzen aus anderen Einheiten zusammengezogen werden. Auch drei Jahre nach Ausrufung der Zeitenwende ist das die bittere Realität in deutschen Heeresverbänden. Bislang geht es aus der Perspektive von Beobachtern vordergründig noch immer um Ausrüstung – längst nicht um Aufrüstung.
Neuaufstellungen sind herausfordernd
Weitere Neuaufstellungen gelten deshalb als Herausforderung. Allein im Hinblick auf die Artillerie sind schon die aktuellen Ziele ambitioniert.
Auf dem Nato-Gipfel werde wohl nochmal eine Schippe draufgelegt, analysiert der pensionierte General Heinrich Fischer im BR-Interview: Mit dem neuen Weidener Artilleriebataillon verfüge die Truppengattung über fünf Bataillone und rund 3.000 Dienstposten in der Artillerietruppe. Laut dem Zielbild des Heeres sollten es bis 2029 elf Artilleriebataillone sein, so Fischer. Auf dem Nato-Gipfel dürften aber nochmals ambitioniertere Ziele gesteckt werden, sagt er: "Nach meiner überschlagenen Berechnung brauchen wir nochmal mindestens fünf bis sechs Artilleriebataillone mehr, wenn wir auf die zu erwartenden Mehrforderungen blicken, die aus den zu verabschiedenden Nato-Fähigkeitszielen für die Landstreitkräfte resultieren."
General a.D.: Ohne Wehrpflicht geht das nicht
Ohne Wehrpflicht seien diese Ziele nicht zu erreichen, sagt der General außer Dienst. Außerdem fordert er schlankere Führungsstrukturen, weniger Bürokratie sowie eine "rigorose Vereinfachung" des Streitkräfteplanungs- und Beschaffungssystems.
Heinrich Fischer war während seiner Dienstzeit unter anderem General der Artillerietruppe und Kommandeur der Artillerieschule sowie stellvertretender Amtschef des Heeresamtes. Heute schreibt er als Autor für den Mittler-Verlag, der Fachpublikationen wie die Zeitschrift "Europäische Sicherheit und Technik" herausgibt.
Dass die Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben ausgesetzt wurde, lobt der General außer Dienst im Interview mit dem BR ausdrücklich. Er fordert aber, den Diskussionsmodus zu verlassen und ins Handeln zu kommen: "Jeder Tag zum Aufbau der Streitkräfte für eine glaubwürdige Abschreckung muss genutzt werden", sagt Fischer.
Lehren aus dem Ukraine-Krieg ziehen
Vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges und den neuen NATO-Anforderungen verweist Fischer auf die Bedeutung seiner eigenen Truppengattung. In der russischen Kriegsführung sei die Artillerie ein dominierender Faktor. Fischer fordert deshalb entsprechende Lehren aus dem Ukraine-Krieg zu ziehen: Etwa müsse die Bundeswehr ausreichend mit Artillerieaufklärungssystemen ausgestattet sein. Das trage zu einer abschreckenden Wirkung bei. Schließlich lassen sich die Positionen gegnerischer Geschütze so ganz genau bestimmen.
"Abstandsfähigkeit vor Duellfähigkeit"
Der pensionierte General verweist auch auf Treffer, die die ukrainische Armee mit westlichen Raketenartilleriesystemen weit hinter der Front erzielen konnte. Dort hat sie sie etwa Logistik- oder Führungseinrichtungen beschossen. Fischer folgert: "Abstandsfähigkeit geht heute vor Duellfähigkeit." Das bedeutet so viel, wie: Aus der Ferne kämpfen statt in der offenen Panzerschlacht. Fischer wünscht sich, dass dieses Prinzip bei der zukünftigen Streitkräfteplanung und der Zuweisung von Ressourcen berücksichtigt wird.
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