Die Gemeinde Emmering klagt gegen den Zensus. Danach fehlen ihr 322 Einwohner. Die Folge: Mehr als 3 Mio. Euro weniger Einnahmen über 10 Jahre.
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Die Gemeinde Emmering klagt gegen den Zensus. Danach fehlen ihr 322 Einwohner. Die Folge: weniger Einnahmen in Millionenhöhe.

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Streit der Gemeinden um Zensus: Verschwundene Einwohner

Einwohner weg, Geld weg: Laut Volkszählung, dem Zensus, haben viele Gemeinden in Bayern weniger Einwohner als ihre eigenen Melderegister zählen. Das hat finanzielle Folgen für die Gemeinden. Die sind verärgert. Einige haben Klage eingereicht.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Es geht um Millionenverluste und ein statistisches Rätsel: Bayern hat gut 13 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner. Wie viele es ganz genau sind, ist nicht so leicht zu beantworten. Zumindest kommen die Melderegister der Kommunen und die Volkszählung, der sogenannte Zensus, der alle zehn Jahre stattfindet, vielerorts auf unterschiedliche Ergebnisse. Nach dem Zensus hat Bayern weniger Einwohner als in den Melderegistern der Kommunen verzeichnet sind.

Die Folge: Den Gemeinden fehlt Geld. Die staatlichen Zuwendungen, also der kommunale Finanzausgleich, richten sich nach der amtlichen Einwohnerzahl, festgestellt nach dem Zensus. Dieser basiert unter anderem auf einer stichprobenartigen Befragung von Haushalten, die anschließend hochgerechnet wird.

Verschwundene Einwohner, fehlende Millionen: Ein Beispiel

Die oberbayerische Gemeinde Emmering bei Fürstenfeldbruck zählt selbst knapp 7.000 Einwohner. Laut Zensus sind es 450 weniger. Bürgermeister Stefan Floerecke (CSU) hat deswegen Einspruch erhoben. Daraufhin korrigierte das zuständige Bayerische Landesamt für Statistik die Zahl nach oben, um 133 Einwohner. Das wiederum machte den Emmeringer Bürgermeister stutzig. "Ohne neue Daten zu erheben oder bei uns im Rathaus nochmal nachzufragen." Er hat daraufhin Klage vor dem Verwaltungsgericht eingereicht.

Der Unterschied klingt zunächst nach einer kleinen statistischen Ungenauigkeit, hat aber weitreichende Folgen: Die Gemeinde Emmering verliert dadurch laut Bürgermeister Einnahmen von 3,2 Millionen Euro über zehn Jahre.

Zensus – Melderegister: Auch Nürnberg hat "offiziell" weniger Einwohner

Auch Städte wie Nürnberg und Fürth sowie kleine Gemeinden wie Ruhpolding im Landkreis Traunstein und Wiggensbach in Schwaben sind betroffen. So wurde für Nürnberg laut Zensus 2022 eine amtliche Einwohnerzahl von 522.552 errechnet. Die Stadt selbst zählt mehr: 546.397. Die Abweichung ist damit mittlerweile auf knapp 24.000 Personen gestiegen. Für den Statistikamtschef für Nürnberg und Fürth, Thomas Nirschl, ist die Diskrepanz nicht nachvollziehbar. Die Folgen sind vielschichtig. "Es geht dabei auch um die Größe der Wahlkreise, also um die Kommunalparlamente. Ihre Größe wird dadurch bestimmt. Und es geht auch um das Gehalt des Bürgermeisters."

Bayerischer Städtetag: Unverständnis und Resignation unter Gemeinden

Auch der Bayerische Städtetag kritisiert die Zensus-Statistik. Sie sei für die Planung der Kommunen nicht geeignet, sagt Städtetag-Chef Bernd Buckenhofer. "Einzelne Mitglieder des Bayerischen Städtetags mussten mit Verwunderung einen Einwohnerschwund in der Statistik zur Kenntnis nehmen, der weder anhand der Melderegister erklärt werden kann, noch mit Blick beispielsweise auf die Zahl vor Ort benötigter Wohnungen oder Plätze in den Schulen." Das sorge für Unverständnis und Resignation bei den Städten und Gemeinden, so Bernd Buckenhofer.

Im Video: "Einwohnerschwund" in Gemeinde Emmering

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Webseite zum Zensus 2022

Landesamt für Statistik verteidigt Zensus-Erhebung

Das Landesamt für Statistik mit Sitz in Fürth kontert: Grundlage für den Zensus sind neben der Haushaltsbefragung auch Informationen der Melderegister, die aber nicht fehlerfrei seien, sagt Amtschef Thomas Gößl. Die Einwohnermeldeämter und Meldebehörden seien darauf angewiesen, dass ihnen gemeldet wird, wenn sich die Bevölkerung ändert. Wenn also jemand weg- oder zuzieht oder seinen Hauptwohnsitz wechselt. "Diese Meldungen kommen einfach nicht überall perfekt und dadurch sammeln die Melderegister im Laufe der Jahre Fehler an und die werden nicht kleiner, sondern größer", so der Chef vom Landesamt für Statistik.

Fall Emmering: Landesamt räumt Ungereimtheiten bei Stichproben ein

Im Fall von Emmering erklärt das Landesamt für Statistik auf BR24-Anfrage, dass es Anlass für eine Detailprüfung gab. Es wurden einzelne Anschriften identifiziert, bei denen Indizien vorliegen, dass im Rahmen der Haushaltebefragung auf Stichprobenbasis die Erhebung nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden ist, teilt das Amt mit. Deswegen wurde die Einwohnerzahl vom Emmering nachträglich um 133 Personen korrigiert.

Bayerische Gemeinden nutzen ihre Zahlen als Planungsgrundlage

Die Methode des Zensus soll weiterentwickelt werden: von einem registergestützten zu einem registerbasierten System - ohne zusätzliche Befragung der Haushalte. Das hat der Bundestag bereits 2021 im sogenannten "Registerzensuserprobungsgesetz" festgelegt. Wann eine Reform eingeführt wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt aber unklar. Der Soziologe und Zensus-Kritiker Rainer Schnell vermutet, dass man Veränderungen frühestens im Zensus 2051 sehen wird.

Alle 10 Jahre findet eine Volkszählung statt, die nächste ist also im Jahr 2031 dran. Der Zensus soll eigentlich als Planungsgrundlage für Politik, Verwaltung und Wirtschaft vor Ort dienen. Viele Gemeinden in Bayern nutzen dafür aber weiterhin ihre eigenen Einwohnerzahlen aus den Melderegistern.

Transparenzhinweis: In einer früheren Version dieses Artikels vom 04.07.2025 um 5:14 Uhr hieß es, dass mehr als drei Viertel der Gemeinden offiziell laut Zensus weniger Einwohner haben, als sie selbst zählen. Auch eine Karte mit der Differenz je Gemeinde war zu sehen. Diese Daten verwiesen allerdings auf den Unterschied zwischen den im Jahr 2022 erhobenen Zensusdaten und der bisherigen Bevölkerungsfortschreibung auf Basis des Zensus 2011 - nicht auf die Differenz zu den Melderegistern. Die Karte und die betreffenden Textstellen wurden am 4.7.2025 um 12 Uhr entfernt. Der Weiteren wurde im letzten Absatz das Registerzensuserprobungsgesetz und die Prognose eines Soziologen ergänzt.

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