"Das eigene Zuhause wird immer mehr zur Armutsfalle", sagt Joachim Rock, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, bei der Vorstellung einer neuen Studie in Berlin. Die Zahlen des Berichts zur "Wohnarmut" zeigen: Besonders Alleinerziehende macht Wohnen oft arm.
Als armutsgefährdet gelten Haushalte, die weniger als 60 Prozent des Netto-Durchschnittseinkommens von 1.380 Euro im Monat zur Verfügung haben. Für die "Wohnarmut" wird berechnet, wie viel Geld nach Abzug der Wohnkosten frei verfügbar ist.
800.000 Menschen in Wohnarmut
Greta Schabram, Referentin für Sozialforschung, Wohnen und Statistik beim Paritätischen Gesamtverband, erklärt: "Auch wenn Bayern etwas weniger von Armut betroffen ist als der Bundesdurchschnitt, gibt es eine klare Tendenz. Wir sehen 800.000 Menschen in Wohnarmut – also mehr als der offizielle Armutsbericht der Bundesregierung." Zwar erfasse die aktuelle Berechnung auf Grundlage der Daten des Statistischen Bundesamts nicht, welche Rolle dabei die Kosten für Wärme und Strom spielen. Aber klar sei, auch dank Umfragen des Deutschen Mieterschutzbundes, dass die Energiekosten viele Menschen mit kleinem Einkommen zunehmend überforderten.
Besonders betroffen: Alleinerziehende und Senioren
Wohnarmut betrifft nach den Berechnungen etwa vier von zehn Haushalten in Deutschland und tendenziell eher Frauen. Mit rund 31 Prozent seien auch junge Erwachsene und mit 20 Prozent Senioren eher gefährdet, in die Wohnarmut zu rutschen.
Auch bayerische Wohlfahrtsverbände und Hilfsorganisationen erleben, dass die Bedürftigkeit zunimmt. Die Münchner Seniorenhilfe Lichtblick unterstützt Menschen mit niedriger Rente. Dank Spenden kann die Organisation etwa 31.000 Personen inzwischen langfristig unterstützen. Auch die 69-jährige Münchnerin Lisa F.: Sie musste 2024 erstmals 80 Euro für den Strom nachzahlen und ist froh, dass sie notfalls finanzielle Hilfe bekommen hat, obwohl sie bereits bei Licht und Heizung, und auch dem Einsatz der Elektrogeräte spart.
Kein Einzelfall, so Lichtblick-Gründerin Lydia Staltner: "Vor 2022 waren es noch um die 30 bis 50 Euro, die nachgezahlt werden mussten. Jetzt bewegen wir uns bei 100 bis 500 Euro, obwohl die Rentner immer mehr beim Licht und Heizen sparen." Viele Senioren litten unter der allgemeinen Teuerung. Trotz Sozialleistungen wie Wohngeld oder Grundsicherung im Alter kämen die Senioren aufgrund von Sonderbelastungen wie Nachzahlungen beim Strom in finanzielle Nöte.
Stromsparberater helfen beim Haushaltsplan
Die Energiesparberater der Caritas können Abrechnungen prüfen und geben Tipps zum Lüften und Heizen. Falls nötig, ersetzen sie auch alte Stromfresser wie Waschmaschinen oder Kühlschränke gegen sparsame Neugeräte. Die Landeshauptstadt München übernimmt für bedürftige Haushalte die Kosten.
Laut Energie-Expertin Martina König vom Team der Caritas ist es schwierig, Energie zu sparen, weil oft gewaschen und gekocht werden muss. Richtig teuer wird es auch, wenn Heizung oder Warmwasser mit Strom laufen. Wichtig sei es, bevor Zahlungsschwierigkeiten drohten, eine Lösung mit dem Energieunternehmen zu suchen und etwa Ratenzahlungen zu vereinbaren.
Energieschulden erhöhen die Armutsquote
David Diekmann vom Katholischen Männerfürsorgeverein München betreut seit 2022 den Wohnungsnothilfefonds für das Erzbistum München und Freising. Er soll verhindern, dass Menschen aufgrund von Zahlungsproblemen ihre Wohnung verlieren. Dafür stehen monatlich rund 22.000 Euro zur Verfügung. "Das Geld ersetzt keine staatlichen Hilfsleistungen und reicht nur für spontane Hilfen im Einzelfall", so Diekmann. Seit Beginn der Energiekrise wurden über 900 Haushalte mit mehr als 2.500 Bewohnern unterstützt. Ein Drittel der Anfragen betreffe bereits Energiekosten, auch von Personen, die bislang keine Sozialleistungen brauchten. Die Wohnungsarmut erfasse nicht allein die Großstadt, so Diekmann, 60 Prozent der Antragsteller lebten im Münchner Umland – von Garmisch bis Landshut.
Hohe Miet- und Nebenkosten sind laut paritätischem Wohlfahrtsverband Haupttreiber für steigende Armutszahlen in Deutschland.
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