Symbolbild: Kurzzeitig hat der Antarktische Eisschild an Masse gewonnen. Ein Beleg für eine Trendwende beim Klimawandel ist das aber nicht.
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Symbolbild: Kurzzeitig hat der Antarktische Eisschild an Masse gewonnen. Ein Beleg für eine Trendwende beim Klimawandel ist das aber nicht.

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Mehr Antarktis-Eis: Warum das kein Grund zur Entwarnung ist

Kurzzeitig hat der antarktische Eisschild an Masse gewonnen, das zeigen Satellitendaten. Manche deuten das als Beweis für eine Trendwende beim Klimawandel. Doch das ist falsch. Ein #Faktenfuchs

Über dieses Thema berichtet: BR24 Informationen am Morgen am .

  • Die Masse des antarktischen Eisschildes hat laut Bericht des Weltklimarats seit 1993 abgenommen. Dieser Trend zeigt sich auch in Satellitendaten, die die NASA seit 2002 zur Verfügung stellt.
  • Die starken Schneefälle in den Jahren 2021 bis 2023, die für mehr Antarktiseis sorgten, waren laut Experten normale Wetterschwankungen und sorgten nur für ein kurzzeitiges Anwachsen.
  • Das Herauspicken von Daten kurzer Zeiträume ist Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zufolge irreführend, Belege für eine vermeintliche Trendwende beim Klimawandel gibt es nicht.

Abbrechende Eisberge und von unten aufschwimmende, schmelzende Eisschilde: Das kilometerdicke Eis, das auf dem Festland der Antarktis aufliegt, hat seit 2002 jährlich im Schnitt rund 136 Milliarden Tonnen an Masse verloren – das zeigen Satellitendaten und Berechnungen der US-Raumfahrtbehörde NASA.

Im Netz verbreitet sich die Behauptung, das Eis nehme seit 2021 wieder zu. Manche ziehen daraus auch die falsche Schlussfolgerung, dass der Meeresspiegel nicht weiter steige. Dahinter steckt eine Fehlinterpretation korrekter Daten. Die Strategie, Zweifel am Klimawandel zu säen und die Klimawissenschaft als unglaubwürdig darzustellen, ist erkennbar.

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Im Netz behaupten manche, das Eis nehme seit 2021 zu. Manche folgern daraus auch fälschlicherweise, dass der Meeresspiegel nicht weiter steige.

Kurzzeitig mehr Eis in Antarktis zwischen 2021 und 2023

Als vermeintlicher Beleg wird eine chinesische Studie angeführt, die im März 2025 veröffentlicht wurde. Sie untersucht die Veränderung des antarktischen Eisschildes seit 2002 sowie die Auswirkungen auf den Meeresspiegel und ist peer-reviewed, wurde also von anderen unabhängigen Wissenschaftlern des Fachs geprüft. Datengrundlage der Studie sind die schon erwähnten öffentlich einsehbaren NASA-Daten der Satelliten GRACE und GRACE Follow-on, die seit 2002 das Gravitationsfeld der Erde messen und so die globalen Masseveränderungen von Eis und Wasser dokumentieren.

In der Studie ist ein Kurvendiagramm der ausgewerteten Satellitendaten abgebildet. Es zeigt den Verlust der antarktischen Eismasse seit 2002. Demnach verlor die Antarktis 2021 nicht weiter an Eis, die Masse nahm bis 2023 sogar leicht zu.

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Aufgrund der enormen Größe der Antarktis führen selbst verhältnismäßig kleine Eisverluste zu einem relevanten globalen Meeresspiegelanstieg.

Dieses Kurvendiagramm teilte beispielsweise der Finanzwissenschaftler Stefan Homburg, der schon öfter durch die Verbreitung von Falschinformationen aufgefallen ist, auf der Plattform X.

Im Posting-Text verharmlost Homburg die Bedeutung des Eisverlusts mit dem Einwand, seit 2002 seien absolut nur etwa 0,008 Prozent der gesamten Eismasse der Antarktis verloren gegangen. Dieser Wert stimmt in etwa, bestätigt Johannes Feldmann, Physiker am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), auf Nachfrage des #Faktenfuchs. Einen Grund für Entwarnung sieht er darin jedoch nicht:

"Aufgrund der enormen Größe des Antarktischen Eisschildes führen selbst verhältnismäßig kleine Massenverluste zu einem relevanten globalen Meeresspiegelanstieg – mehrere Millimeter Anstieg über die letzten zwei Jahrzehnte." Johannes Feldmann

Homburg verweist in seiner Antwort an den Faktenfuchs auf "paläometeorologische Daten". Wieso frühere Wärmephasen nicht mit der heutigen Klimakrise vergleichbar sind, hat der #Faktenfuchs in diesem Artikel erklärt.

Satellitendaten aus 2024 und 2025: Kein weiteres Eiswachstum

Schaut man auf die aktuellen Satellitendaten wird aber klar: Das Wachstum des antarktischen Eisschildes hat sich nicht fortgesetzt. Laut den neuesten NASA-Daten vom März 2025 ist die Eismasse wieder auf einem ähnlichen Niveau wie 2021.

Ein Beleg für eine angebliche Trendwende sei das kurzzeitige Wachstum zwischen 2021 und 2023 ohnehin nicht, sagt Johannes Feldmann im Interview mit dem #Faktenfuchs:

"Zwei, drei oder sogar fünf Jahre sind viel zu wenig, um zu sagen: Das ist jetzt ein langanhaltender Trend." Johannes Feldmann

Maß für Trend in Klimaforschung: 20 bis 30 Jahre

So kurze Zeiträume anzuschauen, könne trügerisch sein und zu Fehlinterpretationen führen. Um das zu verdeutlichen, ist in der Grafik des Faktenfuchses eine einfache Trendlinie eingezeichnet.

Feldmann forscht seit mehr als zehn Jahren in der Eisgruppe des PIK. Nur weil sich der Eisverlust in der Antarktis zeitweise verlangsamt bzw. kurzfristig aufgehört habe, heiße dies nicht, dass es in Zukunft so sein werde, sagt er. In der Klimaforschung gelten Zeiträume von 20 bis 30 Jahren als Minimum für belastbare Trends, so Feldmann.

Dass die Autorinnen und Autoren der chinesischen Studie in das Kurvendiagramm neben die abwärts zeigenden Trendkurven von 2002 bis 2021 auch eine aufwärts zeigende Trendkurve für den kurzen Zeitraum von 2021 bis 2023 eingezeichnet haben, kann laut Feldmann von Laien fehlinterpretiert und zur gezielten Desinformation genutzt werden.

"Das ist natürlich ein gefundenes Fressen für Menschen, die das bewusst nutzen wollen, um Fehlinformationen zu verbreiten." Johannes Feldmann

Rosinenpicken als gängige Strategie von Klimafaktenleugnern

Ein Herauspicken bestimmter Daten und kurzer Zeiträume ist eine gängige Strategie von Akteuren, die Klimafakten leugnen oder Folgen des Klimawandel verharmlosen. Johannes Feldmann hat diese Strategie auch schon bezüglich der globalen Mitteltemperatur beobachtet.

"Da gibt es auch immer mal wieder Phasen, wo der Anstieg sich abschwächt und dann heißt es: Die globale Erwärmung ist gestoppt, jetzt gibt es eine Trendwende. Das hat sich aber nie bewahrheitet." Johannes Feldmann

Verbreitung von Falschbehauptungen mittels Pseudoexperte

Eine weitere Strategie: die Verbreitung von Falschinformationen durch Pseudoexperten. Mitte Mai publizierte etwa Fritz Vahrenholt auf mehreren einschlägig für die Verbreitung von Falschinformationen bekannten Online-Portalen seinen Blog-Artikel zum Antarktis-Eis. Mehrere Aussagen darin sind dieser Recherche zufolge unbelegt oder irreführend.

Vahrenholt ist promovierter Chemiker und bekannt dafür, immer wieder zentrale und unter Fachleuten unumstrittene Erkenntnisse der Klimawissenschaft in Frage zu stellen. Auch wenn er aufgrund seiner Titel und vieler Veröffentlichungen zu Klimathemen auf den ersten Blick wie ein Experte wirken mag: Viele seiner Texte halten Überprüfungen nicht stand und mehrere Klimawissenschaftler haben sich in der Vergangenheit klar von Vahrenholt und seinen Thesen distanziert.

Klimawissenschaftler distanziert sich von Vahrenholt

Vahrenholt zitiert in seinem Blogartikel zur Antarktis auch Jochem Marotzke, Physiker und Direktor des Max-Planck-Instituts für Meteorologie. Auf Nachfrage des #Faktenfuchs teilt Marotzke jedoch mit, dass sein Zitat aus dem Zusammenhang gerissen wurde und distanziert sich von Fritz Vahrenholt:

"Vahrenholt & Co picken sich raus, was ihnen passt, und ignorieren geflissentlich die Ergebnisse seriöser Forschung. [...] Alles Humbug." Jochem Marotzke

Auf die konkreten Rückfragen des #Faktenfuchs antwortet Vahrenholt nicht und verweist in seiner E-Mail lediglich auf Berichterstattung zur oben genannten chinesischen Studie.

Kurzfristiges Wachstum macht jahrzehntelangen Eisverlust nicht wett

Der Klimaforscher Feldmann hingegen simuliert als Eisschild-Modellierer am PIK mit Satellitendaten und anderen Messdaten den Einfluss der globalen Erwärmung auf Eis und Meeresspiegel. Die Abnahme des Eises verlaufe, wie auch andere Variablen, nie geradlinig, sagt er. Schwankungen und kurzzeitige Umkehrungen wie die zwischen 2021 und 2023 seien ganz normal:

"Es ist ein kurzer Anstieg gewesen, der aber bei weitem nicht die Verluste aus den letzten Jahrzehnten wettgemacht hat. Die langjährige Entwicklung, die wir beobachten, ist ein Masseverlust des antarktischen Eisschildes, der vor allem in der Westantarktis stattfindet." Johannes Feldmann

Außergewöhnliche Schneefälle führten zu mehr Eis

Dieser langfristige Trend des Eisverlusts kann zeitweise überlagert werden von außergewöhnlichen Schneefällen. Solche Niederschläge – sowohl besonders niedrige als auch besonders hohe – wirken sich auf den Antarktischen Eisverlust und in der Folge auch auf den Meeresspiegel aus. Das zeigt eine Studie von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der University of Leeds in Großbritannien.

Das bestätigt auch Angelika Humbert, Glaziologin am Alfred-Wegener-Institut (AWI). Sie leitet die dortige Arbeitsgruppe zur Eisschildmodellierung und erforscht die Wechselwirkungen zwischen Eis und Klimasystem.

"Wir haben es mit einem natürlichen System zu tun, das Schwankungen unterliegt und das ist auch gar nichts Ungewöhnliches. Wir haben mal ein Jahr mit viel Schnee, mal ein Jahr mit gar keinem Schnee und sowas gibt es eben über Eisschilden auch." Angelika Humbert

Genau diese Ursache für die Zunahme des Antarktis-Eises haben dieselben chinesischen Wissenschaftler in einer anderen Studie selbst untersucht: Demnach lässt sich die Zunahme der Eismasse in der Ostantarktis in den Jahren 2021 und 2022 auf ungewöhnlich hohe Schneefallmengen zurückzuführen.

Solche Schneefälle könnten in den nächsten Jahren häufiger vorkommen, meint Johannes Feldmann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung:

"Wir wissen, dass sich diese Schneefall-Ereignisse in den nächsten Jahren, dadurch dass es eine wärmere Atmosphäre gibt, häufen können. Das heißt, es könnte öfter mal dazu kommen, dass mehr Masse darauf landet, aber gleichzeitig, wenn es dann noch wärmer wird, wird es auch mehr schmelzen. Das ist alles ziemlich gut erforscht und das wird in den nächsten Jahren auch weiter erforscht." Johannes Feldmann

Auch Angelika Humbert sieht keine Trendwende:

"De facto mag das mal in einem Jahr aufgepuffert sein, weil die Ostantarktis viel Schneefall erfahren hat und das ist auch gut für den Meeresspiegel. Aber langfristig gesehen sehen wir nicht, wie sich eine Trendumkehr in dem Massenverlust der Westantarktis abzeichnen würde." Angelika Humbert

Masseverlust in Antarktis beschleunigt sich voraussichtlich

Laut dem aktuellsten Sachstandsbericht des Weltklimarats der Vereinten Nationen (IPCC) aus dem Jahr 2023 und dieser Studie von australischen und chinesischen Forschern gibt es Anzeichen dafür, dass sich der Eisverlust in der Antarktis beschleunigt. Das bestätigt auch Feldmann und erklärt die Beschleunigung:

"Einfach dadurch, dass die Atmosphäre wärmer wird, dass der Ozean wärmer wird und dadurch mehr abschmilzt." Johannes Feldmann
  • Warum der westantarktische Eisschild mit hoher Wahrscheinlichkeit abrupt und unumkehrbar große Eismassen verlieren könnte, hat der #Faktenfuchs hier erklärt.

Höhere Oberflächentemperaturen führen zu schnellerem Eisverlust

Laut IPCC-Bericht ist noch nicht klar, wie groß genau der menschliche Beitrag zum Masseverlust des Antarktischen Eisschilds seit den 1990ern war. Die Einschätzung im Fachbericht lautet "limited evidence & medium agreement".

"High confidence", also "hohes Vertrauen" gibt es laut IPCC-Bericht jedoch in die wissenschaftliche Annahme, dass die Wahrscheinlichkeit und die Geschwindigkeit des Eisverlusts mit höheren Oberflächentemperaturen – die eine Folge der menschengemachten globalen Erwärmung sind – zunehmen.

Die Glaziologin Angelika Humbert forscht seit Jahrzehnten zu Eisschilden und beobachtet die aktuelle Entwicklung mit Sorge: "Wir sehen, wie rapide Eismassen zerbrechen können."

Meeresspiegel steigt – auch weil Grönlandeis schmilzt

Und der Meeresspiegel? Der steigt laut IPCC-Bericht seit Jahrzehnten an und das zunehmend schneller. Schrumpfende Eisschilde tragen erheblich dazu bei, wie eine gemeinsame Datenauswertung von internationalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, unterstützt von NASA und der European Space Agency (ESA) zeigt.

Einer Auswertung der ESA zufolge geht mittlerweile ein Viertel des Meeresspiegelanstiegs auf Eisverlust zurück, Anfang der 1990er-Jahre waren es nur 5,6 Prozent. Auch wenn der antarktische Eisschild von 2021 bis 2023 kurzzeitig nichts zum steigenden Meeresspiegel beigetragen hat: Grönland auf der anderen Seite der Erde verliert laut NASA-Daten durchschnittlich jährlich 266 Milliarden Tonnen Eis pro Jahr, fast doppelt so viel wie die Antarktis.

FAZIT

Das Eis in der Antarktis verliert seit Jahrzehnten erheblich und zunehmend schneller an Masse. Schwankungen und kurzzeitige Zunahmen der Eismasse wie zwischen 2021 und 2023 sind nicht ungewöhnlich, sondern lassen sich auf kurzzeitige, außergewöhnliche Schneefälle zurückführen. Eine Trendwende ist das nicht.

Auch der Meeresspiegel steigt seit Jahrzehnten und zunehmend schneller an – auch weil in Grönland noch mehr Eis verloren geht als in der Antarktis.

QUELLEN

Interview mit Prof. Dr. Angelika Humbert, Glaziologin am Alfred-Wegener-Institut (AWI) und Leiterin der Arbeitsgruppe zur Eisschildmodellierung

Interview mit Dr. Johannes Feldmann, Physiker und Eisschild-Modellierer am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK)

Schriftliche Antwort von Prof. Dr. Jochem Marotzke, Direktor und wissenschaftliches Mitglied am Max-Planck-Institut für Meteorologie

Schriftliche Antwort von Klimafakten

Chinesische Studie: Wang, W., Shen, Y., Chen, Q. et al. Spatiotemporal mass change rate analysis from 2002 to 2023 over the Antarctic Ice Sheet and four glacier basins in Wilkes-Queen Mary Land. Sci. China Earth Sci. 68, 1086–1099 (2025).

Daten der NASA-Satelliten Grace und Grace Follow-on, die seit 2002 das Gravitationsfeld der Erde messen und so die globalen Masseveränderungen von Eis und Wasser u.a. in der Antarktis dokumentieren.

Massenbilanz von Antarktischem und Grönländischem Eisschild (2002-2025)

Quellen zum zunehmend schneller ansteigenden Meeresspiegel – hier, hier, hier und hier.

Schneefälle als Ursache für Eiswachstum zwischen 2021 und 2022 laut anderer Studie derselben chinesischen Wissenschaftler

NASA-Daten zur Globalen Mitteltemperatur

Quellen zum Meereis, das keinen Einfluss auf den Meeresspiegel hat, hier, hier und hier.

Blogbeitrag über Rosinenpicken als bekannte Strategie von Klimafaktenleugnern

Menschlicher Beitrag zum Masseverlust des Antarktischen Eisschilds laut Bericht des Weltklimarats.

Wahrscheinlichkeit und die Geschwindigkeit des Eisverlusts nehmen mit höheren Oberflächentemperaturen zu laut Bericht des Weltklimarats.

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