Wie bei diesem Protagonisten nicht anders zu erwarten, zitiert der Titel dieser arg liebedienerischen Doku einen Schriftsteller: "Jetzt wohin?" heißt ein Gedicht Heinrich Heines. Robert Habeck mag es seit seinen Heikendorfer Jugendtagen, als er mit Schulfreunden beschloss: "Wir retten die Welt vom Strand aus." Das war ungefähr zu der Zeit, als er im Selbstverlag den Gedichtband "Das Land in mir" veröffentlichte.
Ratloses Wundenlecken
Viele Jahre später, 2019, lernten sich Habeck und der Filmemacher Lars Jessen – beide Jahrgang 1969 – bei einem Handballspiel kennen, so erzählt es der gebürtige Kieler Jessen in seinem Film. Während des Wahlkampfs 2024/25 habe er dann ein Netzwerk von meist künstlerischen Unterstützern um Habeck gebildet, die sogenannte "grüne Küche". Daraus wiederum folgten die Videos der Küchentisch-Gespräche als Teil der "Bündniskanzler"-Kampagne sowie andere Wahlwerbeclips, von deren Existenz man durch diese Doku überhaupt erst erfährt.
Der Spot "Zeichen" des "progressiven Filmemachers" Arun Chaudhary jedenfalls ist am Rezensenten seinerzeit völlig vorbeigegangen. Jener Chaudhary sei "ein Profi" und habe "schon mit Obama zusammengearbeitet", raunt Jessen. Dass dieser amerikanische Kreativdirektor danach auch Bernie Sanders in dessen erfolgloser Kampagne beriet, verschweigt der Norddeutsche.
Chaudhary kommt in "Jetzt. Wohin." ebenso zu Wort wie die Klimaaktivistin Luisa Neubauer oder die Transformationsforscherin Maja Göpel und viele andere mehr. Das Ergebnis all dieser Interviews, die den Gründen für Habecks Scheitern nachspüren wollen, ist dabei allerdings bescheiden: in Summe nicht viel mehr als ein kollektives, ratloses Wundenlecken derjenigen, die sich hier mehrmals als "die Guten" bezeichnen.
Mangelnde Distanz
Wer hingegen die Bösen sind, ist schnell ausgemacht: die Öl-Lobby, die FDP, die "Bild"-Zeitung ("Habecks Heiz-Hammer") und der "Grünen-Fresser" Markus Söder, den der sonst so bedacht auftretende Habeck – so viel Retourkutsche muss anscheinend sein – hier als "Wurstpolitiker" abfertigt.
Erkennbar ist "Jetzt. Wohin." ein Film für die Gemeinde: Idolatrie tritt an die Stelle von Analyse oder gar, Habeck bewahre, (Selbst-)Kritik einer verfehlten Strategie. Dass die Doku misslingt, liegt an ihrer mangelnden Distanz zum Gegenstand und der Personalunion, welcher Jessen nicht entkommt: Er war in das Geschehen direkt involvierter Berater Habecks im Wahlkampf und will nun rückblickend als Beobachter auftreten. Wie soll das gehen?
Selbstgerechter Gleichklang
So sieht man letztlich viele Köpfe ein und dasselbe sagen: "Wir kriegen die euphorische Stimmung nicht in den digitalen Raum übersetzt", grämt sich der grüne Datenanalyst. "Wir kommen nicht aus der Blase heraus", stöhnt ein anderer. "Da kommst du nicht gegen an", gibt sich Habeck selbst resigniert, als er erkennen muss, dass die Themen Migration und Sicherheit alles andere überlagern.
Bemerkenswert an diesem Film bleibt allein, was der Musiker Jan "Monchi" Gorkow von der Punk-Band "Feine Sahne Fischfilet" im Interview sagt: Die "Speerspitze der Moralapostel" zu bilden, indem man zum Beispiel zum "Aufstand der Anständigen" aufrufe, halte er für den genau falschen Weg, weil er viele abschrecke. Der ostdeutsche Gorkow lebt in einer Neubrandenburger Gegend, in der 54 Prozent AfD wählen. Da helfe es nicht, die Haltung "Wohlfühlen gegen Nazis" einzunehmen: "Ich nehme euch das nicht ab", so Gorkow zu Jessen, "dieses höher, schneller, weiter, linker, perfekter. Weil, wenn ich an etwas glaube, dann daran, dass alle Menschen gleich scheiße sind."
Das sind erfrischende Worte im sonst allzu selbstgerechten Gleichklang der Gesprächspartner. Ein gutes "Narrativ" habe gefehlt, konstatiert Jessen irgendwann. Vielleicht war genau das aber das Problem, denkt man sich. "Das Modewort 'Narrativ'" hat der Schriftsteller Botho Strauß einmal bemerkt, "benutzen ausschließlich Menschen, die zum Erzählen nicht die geringste Begabung haben."
"Jetzt. Wohin. Meine Reise mit Robert Habeck" läuft ab 7. Dezember im Kino.
Im Audio hören Sie ein Gespräch zwischen Bayern 2-Moderator Matthias Hacker mit den Regisseur Lars Jessen.
Robert Habeck im Gespräch über den Ausgang des Bundestagswahlkampfes
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