Farbenprächtiges, abstraktes Bild mit überschnittenen Kreisen und Dreiecken auf dunklem Hintergrund
Bildrechte: Foto: Galerie Lahumière Paris, © VG Bild-Kunst Bonn, 2024

Auguste Herbin: "Réalité spirituelle", 1939, Ausschnitt

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Pionier der Moderne: Auguste Herbin im Lenbachhaus

Richtig gut und trotzdem unbekannt? Das kommt in der Kunstgeschichte immer wieder vor. Ein Beispiel ist Auguste Herbin, ein wichtiger Pionier der Moderne in Frankreich. Das Münchner Lenbachhaus widmet dem Maler nun eine große Einzelausstellung.

Über dieses Thema berichtet: Bayern 2 Die Welt am Morgen am .

Eine Frau beim Kirschenpflücken: In rosafarbenem Kleid und mit denkbar unpraktischen Absatzschuhen steht sie in der Landschaft und greift nach den Früchten, ein Arm verdeckt ihr Gesicht. Völlig klar: Die Frau interessiert den Maler überhaupt nicht. Ihn fasziniert der Schatten in einer Falte ihres Kleids, der Kontrast zwischen den tiefroten runden Kirschen und den länglichen grünen Blättern, die Struktur der Leiter, deren Sprossen er wie ein Muster quer durchs Bild zieht.

"Die Kirschenpflückerin" von 1924 ist ein kurzes Intermezzo figürlicher Malerei im Werk Auguste Herbins, in Wahrheit ist er durch und durch auf Abstraktion gepolt. Sein Galerist hatte zum Gegenständlichen geraten, weil sich das besser verkaufen ließ.

Um das Einkommen des Malers sei es schlecht bestellt gewesen, sagt Kuratorin Susanne Böller. Davon zeugt auch die Schilderung der Dachkammer Herbins im Pariser Künstlerviertel Montmartre: "Ein Besucher beschreibt, es ist alles total ärmlich, es ist durch einen roséfarbenen Stoff ein Bett abgetrennt, aber es ist alles ganz, ganz ordentlich, und er hat viele bunte Dinge, Blumen und Vasen, die er auch malt und es ist so eng, dass er offensichtlich auch immer mal den Pinsel an der Wand abstreift und er schildert, dass er am Ärmel ein 'Froschgrün für immer' mitgenommen hat."

Pionier der Abstraktion in Frankreich

Herbin kam aus einfachen Verhältnissen, geboren wurde er 1882 an der französisch-belgischen Grenze, nach dem Kunststudium in Lille lebte er ab 1901 in Paris. In seinen frühen Werken probierte er die verschiedensten Stile aus: Da ist eine spätimpressionistische Nachtszene, mit einem von Straßenlaternen beleuchteten Haus. Das Porträt des Dichters Erich Mühsam von 1907 erinnert an die Malweise von Jawlensky oder Gabriele Münter: Die Konturen sind betont, alles wirkt flächig.

Bereits ab 1909 malt Herbin kubistisch: Stillleben, Landschaften und sogar ein Familienporträt in kristallinen Formen, wie zerschnitten und verschoben zusammengesetzt. Doch Herbin hat diese Stile nie kopiert, sondern stets eine ganz eigene Note eingebracht und die hieß: Farbe! Anders als Picasso oder Braque beschränkte er sich in seinen kubistischen Bildern nicht auf blaugraue Erdtöne, sein Kubismus ist leuchtend bunt.

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Auguste Herbin: Porträt Erich Mühsam, 1907, Ausschnitt

Doch all das sind nur Vorstufen, Herbins eigentlicher Weg führt in die Abstraktion. Seine späteren Bilder zeigen bunte, kompakte Formen, mit Vorliebe für Kreise und Spiralen. Hier und da meint man noch einen Schnabel oder ein Auge zu erkennen, doch alles bleibt Form und Fläche. "Für ihn ist das, was sich über Farbe überträgt, nur in der Fläche möglich", erklärt Susanne Böller. "Sobald etwas dargestellt wird, braucht man Modulationen, Rundungen, da entsteht Material, etwas Greifbares, und dann kann die Farbe ihre Wirkung nicht mehr so entfalten."

Abstrakte Kunst als Kunst für alle

Herbin ist ein Arbeitstier, er malt nicht nur unermüdlich, er engagiert sich auch politisch für die neue Kunst, 1931 wird er Präsident der Gruppe "Abstraction-Création", der auch Kandinsky, Delaunay oder Mondrian angehören. Herbin wollte eine neue, moderne Ästhetik schaffen, verbunden mit der Hoffnung auf eine gerechtere soziale Ordnung. "Herbin wird 1920 – wie viele Künstler und Intellektuelle in Frankreich – Mitglied der kommunistischen Partei, deswegen ist dieser Gedanke, dass es eine Kunst für alle geben muss, das heißt eine Kunst, die alle verstehen können, ganz wichtig für ihn", so Böller. So sei er zur abstrakten Kunst gekommen, weil in der Vorstellung der abstrakten Künstlerinnen und Künstler dies die Kunst sei, für die man keine bildungsbürgerlichen Voraussetzungen zum Verständnis brauche.

Abstrakte Kunst als universelle Kunst, die unabhängig von Sprache und Herkunftskultur verstanden wird: Dieser Gedanke vereint Herbin mit den Vorreitern der Abstraktion in Deutschland, wie etwa den Künstlern des Blauen Reiters.

Die Ausstellung zeigt 50 Arbeiten aus 60 Schaffensjahren. Es sind erfrischende Bilder, konsequent, witzig und sprühend vor Fantasie. Und so bleibt am Ende ein doppeltes Staunen: über die Kunst und über die Tatsache, dass Auguste Herbin in Deutschland noch recht unbekannt ist.

Auguste Herbin: Bis 19. Oktober im Lenbachhaus in München

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Auguste Herbin: "Parfum n°2", 1954

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