Es gibt Filme, die verleiten dazu, ihnen vorschnell einen Stempel aufzudrücken. Die Handlung dreht sich um einen Hund? Obendrein um Tod und Trauer? Das kann ja nur Kitsch sein. Danke für nichts, weg damit.
Auch wenn Geschmäcker bekanntlich verschieden sind: Bezogen auf die Romanverfilmung "Loyal Friend" wäre dieses Urteil eine klare Fehleinschätzung. Die Tragikomödie gehört eher in die Kategorie: Filme mit Seltenheitswert. Denn ja: Der Film hat das Potenzial, unkontrollierten Tränenfluss zu aktivieren – aber nicht, weil man in ein lauwarm temperiertes Gefühlsbad mit anschwellendem Dolby-Surround-Geigen-Soundtrack getaucht wird. Sondern weil der Film Fragen stellt, die zunächst absurd erscheinen, deren emotionale Wucht aber in den gar nicht so einfachen Antworten liegt.
Wie erklärt man einem Hund den Tod?
Die New Yorker Schriftstellerin Iris – eigentlich Typ wortgewandt und überaus klug – ist ratlos. Walter, ihr bester Freund, langjähriger Mentor und kurzzeitiger Liebhaber ist gestorben. Und neben einem gigantischen Loch in ihrem Leben hat er ihr seine nicht minder gigantische Dogge hinterlassen. Wäre der 150-Pfund-Vierbeiner zu einem Spaziergang zu bewegen, würde er der zierlichen Iris bis zur Hüfte reichen. Weil das schwarz-weiß-gefleckte Großstadt-Pony jedoch sein Herrchen vermisst, liegt Apollo zumeist lethargisch in Iris' 46-Quadratmeter-Apartment, okkupiert ihr Bett und schaut sie mit eindringlich-traurigem Hundeblick an.
Auch wenn es eine synchronisierte Fassung von "Loyal Friend" gibt: Mehr Tiefe bietet die Originalversion. Ein Satz wie "What are you looking at?" wird etwa übersetzt mit einem pampigen "Was guckst du mich so an, hä?" – womit die Doppeldeutigkeit der preisgekrönten Literaturvorlage verloren geht. Denn die Frage, was der Hund sieht, löst in Iris Selbstreflexion aus. Wer ist eigentlich diese Person, die Apollo anblickt – oder was ist von ihr übrig, nachdem sie den wichtigsten Mensch in ihrem Leben verloren hat?
Ein Tier als Trauerbegleiter
Erinnerungen werden wach. Und prompt spaziert die von Naomi Watts gespielte Iris in einem Rückblick mit dem von Bill Murray dargestellten Walter wild diskutierend durch Downtown Manhattan. Ihre Energie von damals gehört der Vergangenheit an – denn seit Walters Tod ist Iris in einem diffusen Schwebezustand, ist stark und schwach zugleich, kann weder weinen noch loslassen. Und obwohl sie glaubt, dass ihre Schreibblockade das größte Problem sei, ist es die Verdrängung ihres fragilen Seelenzustands, der ihr zu denken geben sollte.
Ein Tier als emotionale Stütze und Trauerbegleiter, der zum Pfad der Erkenntnis führt. So zusammengefasst, klingt "Loyal Friend" durchaus nach Kitsch im Quadrat. Aber wie die mit dem National Book Award ausgezeichnete Buchvorlage von Sigrid Nunez ist auch der Film ein kluges und komplexes Werk. Denn die Schriftstellerin aus dem Dunstkreis von Susan Sontag hat eine große poetische Liebeserklärung verfasst: an das Leben, an New York und ja, natürlich an den besten Freund des Menschen.
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