Ein älterer Mann arbeitet in einer Firma an einem Tablet, im Vordergrund ein Solarmodul (Archiv- und Symbolbild)
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Ein älterer Mann arbeitet in einer Firma an einem Tablet, im Vordergrund ein Solarmodul (Archiv- und Symbolbild)

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Arbeiten trotz Rente: Notlösung oder Modell mit Zukunft?

Die Zahl der Menschen, die im Ruhestand arbeiten, steigt. Das wirkt dem Fachkräftemangel entgegen und bringt Senioren Geld neben der oft spärlichen Rente. Eine Win-win-Situation für Unternehmen und Rentner – oder nur eine Ausweichlösung?

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In Deutschland sind viele Menschen trotz Rente weiter berufstätig. Nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung (Stand Ende 2022) arbeiten inzwischen 1,3 Millionen Senioren weiter – ein deutliches Zeichen für den demografischen Wandel und den Fachkräftemangel in vielen Branchen.

Ein halbes Jahrhundert Berufserfahrung

Rosemarie Brandl aus Traunstein im Chiemgau ist eine von ihnen. Mit 71 Jahren arbeitet sie noch täglich in der Bäckerei Kotter, in der sie seit 55 Jahren tätig ist. Trotz ihres Alters steht sie immer noch morgens früh hinter der Theke, um Kunden mit frischen Brezn und Semmeln zu versorgen. Für sie ist das nicht nur ein Job, sondern auch etwas, das sie fit hält und ihr das Gefühl gibt, gebraucht zu werden.

Gerhard Kotter, der Inhaber der Bäckereikette, schätzt die Erfahrung und das Engagement älterer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen wie Rosemarie Brandl sehr. Er betont, dass ältere Menschen eine wertvolle Unterstützung seien, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken und ihre Erfahrung für den Betrieb unverzichtbar sei.

Agenturen unterstützen Rentner bei Job-Suche

In Deutschland haben sich zahlreiche Vermittlungsagenturen darauf spezialisiert, Senioren bei der Job-Suche zu unterstützen, etwa "Silverjobs", "Silvertalent", "Talente in Rente" oder "Senior Connect". Und sie setzen auf einen wachsenden Markt. Zu den Agenturen zählt auch "Unique Seniors" in München. Hier arbeitet seit eineinhalb Jahren der 70-jährige Michael Kniß.

Aus den Gesprächen, die er mit seinen Bewerberinnen und Bewerbern führt, weiß er, dass viele das zusätzliche Einkommen brauchen, um ihren Lebensstandard zu sichern. Er hat selbst erlebt, wie schwer es ist, auf dem Arbeitsmarkt wieder Fuß zu fassen: "Immer wieder Absagen zu bekommen, ist deprimierend", so Kniß. Deshalb hält er die Agenturen und ihre Arbeit für so wichtig.

Dabei werden Fachkräfte eigentlich händeringend gesucht. Der Geschäftsbereichsleiter von Unique Seniors, Tobias Bell, sieht deshalb großes Potenzial darin, Rentnerinnen und Rentner in Arbeit zu bringen: "Ich gehe davon aus, dass Unternehmen bald keine Wahl mehr haben, sondern sich dem Thema stellen müssen, sonst bekommen sie ihre Arbeitsplätze nicht mehr besetzt."

Die Bevölkerung wird immer älter, der Nachwuchs fehlt. Und weil immer weniger junge Menschen ins Rentensystem einzahlen, lautet die Prognose, dass die Rentenleistungen künftig eher weiter sinken werden - eine zusätzliche "Motivation" vieler älterer Menschen, länger zu arbeiten, ist Bell überzeugt.

Flexirente bringt beiden Seiten Vorteile

Die 64-jährige Bettina Köster hat 45 Jahre ins Rentensystem eingezahlt und bekommt nun knapp über 1.000 Euro Rente. Köster ist gelernte Pflegehilfskraft und arbeitet trotzdem noch 20 Stunden pro Woche, um sich so ihre Rente aufzubessern und weiterhin im Beruf aktiv zu sein. Das zahlt sich aus: Hätte sich Köster entschieden, erst zu ihrer Regelaltersgrenze mit 66 Jahren in Rente zu gehen, wäre ihr Anspruch gerade mal 40 Euro höher. So bekommt sie jetzt schon monatlich ihre Rente.

Unternehmen wie die BMW Group setzen schon länger auf die Erfahrung älterer Mitarbeiter. Albrecht Jungk arbeitet dort als "Senior Expert" und bringt sein Wissen in die Fahrzeugentwicklung ein. Für ihn ist die Zusammenarbeit eine Win-win-Situation. Als "BMW Senior Expert" wird er nach seiner letzten Gehaltsstufe bezahlt. Die Zusammenarbeit ist punktuell und kann immer wieder verlängert werden.

Mehr als nur Geld

Dass arbeitende Senioren die Fachkräftelücke schließen können, davon ist Claudia Köpnick, die bei der BMW Group das Veränderungsmanagement und die Experten-Teams leitet, nicht überzeugt: "Sie bringen an einem bestimmten Punkt ihre spezifischen Fähigkeiten ein." Die Fachkräftelücke müsse die Politik jedoch anders schließen.

So sieht es auch Bäckermeister Gerhard Kotter in Traunstein. Stattdessen sei die Politik gefordert, sich für einen geordneten Zuzug einzusetzen. Rentnerinnen wie Rosemarie Brandl braucht er aber dennoch. "Es muss ja nicht die erste Frühschicht sein", sagt Kotter. "Wir setzen sie da ein, wo sie uns auch weiterbringen und die volle Leistungsfähigkeit entwickeln."

Ihren Chef kennt Rosemarie Brandl seit seinem sechsten Lebensjahr. Für sie spielt das Geld zwar eine Rolle - aber vor allem fühlt sie sich in der Bäckerei wertgeschätzt und gebraucht.

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Rosemarie Brandl in der Bäckerei

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