Für Zehntausende frühere Kleinanlegerinnen und -anleger von Wirecard ist es ein frustrierendes Jubiläum: Heute vor fünf Jahren nahm der Bilanzskandal bei dem Zahlungsdienstleister aus Aschheim bei München seinen Anfang – doch nach wie vor ist offen, ob die Ex-Aktionäre jemals eine Entschädigung für ihr verlorenes Geld sehen werden.
Am 18. Juni 2020 musste Wirecard die Vorlage seiner Jahresbilanz verschieben. In einer denkwürdigen Videobotschaft verkündete Ex-Chef Markus Braun damals, dass sein Konzern möglicherweise "in einem Betrugsfall erheblichen Ausmaßes zum Geschädigten geworden" sei. Dieser Betrug beschäftigt bis heute die deutschen Gerichte in beträchtlichem Maß.
Schaden von Wirecard-Anlegern geht in die Milliarden
Zuletzt mussten die Anleger im sogenannten Kapitalanleger-Musterverfahren vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht (BayObLG) einen Rückschlag hinnehmen. Dabei ging es um die Frage, ob sie gegen den Wirtschaftsprüfer EY Schadenersatz geltend machen könnten – was das Gericht verneinte. Die Kläger wollen dies nicht akzeptieren und die Frage nun vom Bundesgerichtshof (BGH) beantworten lassen.
"Das ist alles Vorgeplänkel", kritisiert Daniela Bergdolt von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). "Es kann nicht sein, dass solche Verfahren in Deutschland so lange dauern." Selbst wenn der BGH einen solchen Prozess zulassen sollte, drohen jahrelange Auseinandersetzungen. Denn EY weist alle Vorwürfe zurück und dürfte sich vehement juristisch zur Wehr setzen.
Wirecard-Gläubiger fordern Milliarden – doch der Insolvenzverwalter hat nur Millionen
Der BGH will außerdem im Oktober klären, ob geschädigte Aktionäre an der Insolvenzmasse zu beteiligen sind oder nicht. Laut Gericht geht es dabei um rund 50.000 Aktionäre, die Schadenersatzforderungen in Höhe von rund 8,5 Milliarden Euro angemeldet haben.
Die Forderungen aller Gläubiger belaufen sich auf insgesamt 15,4 Milliarden Euro. Demgegenüber stehen derzeit nur etwa 650 Millionen Euro an Insolvenzmasse. Insolvenzverwalter Michael Jaffé versucht diese Summe zu vergrößern, etwa indem er Klagen gegen EY, ehemalige Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder eingereicht hat.
Ex-Wirecard-Chef Braun sitzt weiterhin in Untersuchungshaft
Neben den zivilrechtlichen Verfahren wird der Wirecard-Skandal auch strafrechtlich aufgearbeitet. Seit Dezember 2022 müssen sich Ex-Chef Braun und zwei weitere frühere Manager vor dem Landgericht München verantworten. Ihnen wird unter anderem gewerbsmäßiger Bandenbetrug und Bilanzfälschung vorgeworfen.
Der Prozess gleicht einem riesigen Puzzle, mit Duzenden Zeugen und Unmengen an Daten und Dokumenten. "Bei einem Wirtschaftsstrafverfahren von diesem Ausmaß ist es üblich, dass sich viele kleine Mosaikstücke möglicherweise erst am Ende zu einem Bild zusammenfügen könnten", erklärt Gerichtssprecher Laurent Lafleur. Um das Verfahren zu beschleunigen, hatte das Gericht im Februar beschlossen, die Anklage auf Kernvorwürfe zu reduzieren.
Beobachter werten dies als Hinweis, dass Braun eine hohe Haftstrafe drohen könnte. Zudem lehnte das Oberlandesgericht München wiederholt Beschwerden seiner Verteidigung ab, ihn aus der Untersuchungshaft zu entlassen, wo er seit Juli 2020 sitzt.
Ex-Wirecard-Vorstand Marsalek – ein russischer Spion?
Auch wenn dieser Prozess besonders im Rampenlicht steht, hat die Staatsanwaltschaft München im Lauf der Zeit Anklage gegen weitere ehemalige Vorstände erhoben. Außerdem laufen nach wie vor Ermittlungen gegen weitere Beschuldigte.
Unter den Hauptverdächtigen ist Ex-Vorstandsmitglied Jan Marsalek, der international per Haftbefehl gesucht wird. Behörden vermuten ihn in Russland. Inzwischen hat sich das Bild verdichtet, dass Marsalek im Auftrag Russlands eine Gruppe von Spionen angeleitet haben soll.
Politik hatte Wirecard-Skandal aufgearbeitet und Bafin-Reform angestoßen
Bundespolitisch ist Wirecard hingegen kaum mehr ein Thema. Unmittelbar nach Bekanntwerden des Skandals hatte ein Untersuchungsausschuss versucht, die Hintergründe zu durchleuchten. Hans Michelbach (CSU), stellvertretender Ausschussvorsitzender, sprach von einem "kompletten Aufsichts- und Kontrollversagen", als er den Abschlussbericht im Juni 2021 vorstellte. Man habe es den Tätern "viel zu leicht gemacht".
Bei der politischen Verantwortung schoben sich die Parteien gegenseitig den Schwarzen Peter zu. Persönliche Konsequenzen für den damaligen Finanzminister Olaf Scholz (SPD) oder Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte der Milliardenbetrug nicht. Die Aufsichtsbehörde Bafin wurde reformiert, um künftig ähnliche Fälle zu verhindern.
Im Video: Fünf Jahre Wirecard-Skandal
Fünf Jahre Wirecard-Skandal
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