Der diesjährige Nobelpreis für Medizin wird am 10. Dezember an den japanischen Immunologen Shimon Sakaguchi verliehen. Vor fast 30 Jahren postulierte er die Existenz regulatorischer T-Zellen. Der Preis geht auch an die US-Molekularbiologin Mary E. Brunkow und ihren Kollegen, den Immunologen Frederick J. Ramsdell, deren Forschung belegte, wie diese Zellen, kurz "Tregs" genannt, funktionieren. Sie verhindern, dass das Immunsystem den eigenen Körper angreift. "Ich freue mich sehr, dass unser Beitrag zur Immunologie, also die immunologische Toleranz, so anerkannt wird", sagte Sakaguchi nach der Bekanntgabe. Seine Idee, einst skeptisch betrachtet, hat sich als revolutionär erwiesen und bietet neue Möglichkeiten für die Behandlung von Autoimmunerkrankungen und für sichere Transplantationen.
Die lebenswichtige Rolle der Tregs
Tregs bremsen andere T-Zellen des Immunsystems, die infizierte oder mutierte Zellen angreifen. "Diese regulatorischen Zellen sind die Wächter unseres Immunsystems", erklärt Matthias Edinger vom Leibniz-Institut für Immuntherapie in Regensburg, in dessen Forschungsrat Shimon Sakaguchi Mitglied ist. Durch ihre Kontrolle können die regulatorischen T-Zellen überschießende Immunreaktionen verhindern, die sonst gesunde Zellen angreifen und somit Organe schädigen könnten. Somit lassen sich mit Hilfe der Tregs gefährliche Nebenwirkungen verringern oder gar verhindern.
Regulieren der aggressiven Immunabwehr
Schon lange war bekannt, dass es verschiedene T-Zellen-Typen als Teil der körpereigenen Immunabwehr gibt. Die Killer-T-Zellen etwa beseitigen Körper-Zellen, die von einem Virus oder anderen Erregern infiziert wurden. Sie können auch Tumorzellen angreifen. Damit die Abwehr gelingt, werden massenhaft Killer-T-Zellen vom Körper losgeschickt. Wie aber werden diese nach erfolgreicher Abwehr wieder gestoppt, so dass sie nicht anfangen, auch gesunde Zellen zu attackieren? Shimon Sakaguchi zeigte, dass es eben die regulatorischen T-Zellen gibt, die die Killer-Zellen bremsen. Sie halten die Abwehr im Zaum.
Transplantiertes Immunsystem greift Organe an
Der Internist und Onkologe Matthias Edinger arbeitet mit den Erkenntnissen des Nobelpreisträgers Sakaguchi bei der Behandlung von Leukämie an der Universitätsklinik Regensburg. Bei dieser Therapie werden Stammzellen von Spendern in den Empfänger transplantiert. Dort produzieren die Stammzellen dann gesunde Blutzellen. Nicht nur rote, sondern auch weiße Blutkörperchen. Somit wird das Immunsystem des Spenders übertragen, das dafür sorgt, dass nicht wieder Blutkrebs auftritt, da die Spender-T-Zellen auch Tumorzellen angreifen.
Das Problem: Das Immunsystem des Spenders kann überschießen und Organe des Empfängers angreifen - eine sogenannte "Graft-versus-Host-Reaktion", also Spender gegen Empfänger, oder kurz: GVH-Reaktion. In einem Experiment konnte Matthias Edinger zusammen mit Kollegen zeigen, wie man das Problem lösen kann: "Wir haben große Mengen an regulatorischen T-Zellen co-transplantiert. Es gab keine GVH-Reaktion, aber eine Reaktion gegen die Leukämieerkrankung – ohne dass sie über das Ziel hinausschießt und Organe zerstört."
Von der Theorie zur Praxis: Behandlungsmethode steht kurz vor Genehmigung
In den USA steht eine Behandlungsmethode mit regulatorischen T-Zellen kurz vor der Genehmigung, um die GVH-Reaktion zu verhindern. Und auch in Regensburg laufen klinische Studien, um Therapien zu entwickeln, die solche Nebenwirkungen zu lindern. "Wir haben humane regulatorische T-Zellen genau charakterisiert", berichtet Edinger, "und Technologien entwickelt, wie wir diese Zellen aus dem Blut von Spendern aufreinigen und vermehren können". Damit sollen künftig Transplantationen sicherer und effizienter durchgeführt werden. "Es ist tatsächlich faszinierend, wie elegant die Mechanismen sind, die hinter dieser Immunreaktion stecken, diesem Erkennen von 'selbst' versus 'fremd'", so Edinger.
Forschung trägt erst nach 26 Jahren Früchte
Anfangs stieß Shimon Sakaguchi bei seinen Kollegen in der Wissenschaft auf große Skepsis, wurde für seine Theorie über die regulatorischen T-Zellen fast angefeindet, so der Diabetologe Matthias Hebrok, der für die Technische Universität München und am ebenfalls in München ansässigen Helmholtz Diabetes Center zur Transplantation von Stammzellen forscht. Für Hebrok ist die Forschung von Sakaguchi und dessen Nobelpreis ein gutes Beispiel, wie wichtig es ist, in der Grundlagenforschung gegen Widerstände weiterzuforschen und dabei auch das Risiko einzugehen, zu scheitern: "Wenn man sich mal anschaut, was über die letzten Dekaden in der biomedizinischen Wissenschaft geleistet worden ist, zeigt sich: Diese Risiken zahlen sich in vielen Fällen aus."
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