Kritik aus der Opposition gehört für eine Regierung zum Alltag, Mahnungen aus den eigenen Reihen haben in Bayern Seltenheitscharakter. Umso bemerkenswerter war kürzlich der Appell von Freie-Wähler-Fraktionschef Florian Streibl an die eigene schwarz-orange Regierung, mehr Mut zu zeigen und eine Schippe draufzulegen. Dann zeigte sich auch noch der CSU-Politiker und bayerische Gemeindetagspräsident Uwe Brandl unzufrieden mit der Arbeit der Koalition: "Die Bilanz ist überschaubar und deutlich ausbaufähig." Note: "drei minus“.
CSU und Freie Wähler hatten zuletzt monatelang über ein Jagdgesetz gestritten, um Details beim Ladenschluss und Wassercent gerungen. Sie beschlossen Entbürokratisierungsgesetze, insgesamt aber waren sich Beobachter einig: Die Landespolitik wirkte gelähmt – auch weil Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder wegen Bundestagswahl und Regierungsbildung in Berlin einen klaren Fokus auf die Bundespolitik legte. Nach der Sommerpause bemüht sich Söder, wieder landespolitische Duftmarken zu setzen. Bei der CSU-Herbstklausur versprach er "klare Linien" und präsentierte fünf Monate vor der Kommunalwahl ein "Bayern-Paket". Startet die Landespolitik nun durch?
Immense Probleme
Die Herausforderungen sind gewaltig. Die Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, Ursula Münch, verweist auf die sinkende Wettbewerbsfähigkeit der bayerischen Wirtschaft sowie "immense Infrastrukturprobleme". Die Forschung zeige, dass sich Unmut über die Infrastruktur negativ auf die Demokratiezufriedenheit der Menschen auswirke.
Erschwerend hinzu kommen leere Kassen. Zwei Jahrzehnte galt ein ausgeglichener Haushalt als Markenzeichen des Freistaats, dank Rücklagen konnte er sich auch ohne Schulden vieles leisten. Bayern habe "aus dem Vollen schöpfen" können, sagt Münch. "Das kann man jetzt nicht mehr."
Sorge um den Arbeitsplatz
Dass die finanziellen Spielräume geschrumpft sind, zeigt sich heute in der ersten Plenarsitzung des Landtags nach der Sommerpause, wenn über die Reform des Landespflegegelds beraten wird: Pflegebedürftige sollen künftig halb so viel Geld erhalten, damit der Freistaat mehr Mittel für den Ausbau von Pflegeeinrichtungen hat. Deutlich weniger überwiesen wird ab 2026 auch an Eltern.
Politologin Münch warnt, solche Kürzungen seien ein "schwieriges Signal". Noch mehr treibe die Menschen aber die Angst um die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes sowie die Sorge um, "ob man sich eigentlich das Wohnen demnächst noch leisten kann". Das sieht auch Söder so: "Die Herausforderungen von Inflation, von Abstiegsängsten sind groß", sagte er bei der CSU-Klausur. Er kümmere sich persönlich "extrem" um die Wirtschaft – ein Seitenhieb auf Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler), den diese Woche die Gewerkschaften scharf kritisierten.
Investitionen in Hightech
Bayerns Zukunftsfähigkeit will der Ministerpräsident mit einem "Update" für seine Hightech-Agenda sichern: KI-Offensive, Fusionsforschung, Investitionen in Bio-Life-Science. Hier will Söder auf keinen Fall sparen. Münch erkennt an, dass der Freistaat bei Technologie großen Vorsprung habe. Die Staatsregierung dürfe aber nicht vergessen, dass Schulen teilweise "marode" seien. "Da liegt vieles im Argen."
Abhilfe will Söder schaffen, indem er den Kommunen 60 Prozent der Mittel Bayerns aus dem Sondervermögen des Bundes in Aussicht stellt. Außerdem verspricht er trotz angespannter Haushaltslage neue Kitas, zusätzliche Lehrer, mehr Geld für Wohnungsbau. Dafür ist er bereit, notfalls von der "schwarzen Null" Abschied zu nehmen: Die Entscheidung über Schulden soll nach der Herbst-Steuerschätzung fallen. Danach will Söder erstmals seit Juni 2024 wieder eine Regierungserklärung abgeben.
"Herausforderung" AfD
Als "größte Herausforderung" auch in Bayern bezeichnet Söder aber den AfD-Höhenflug: "Wir spüren, dass die Radikalen stärker werden." Es gelte, sich dagegenzustellen: mit "Programmen und Management", aber auch mit "Identität und Heimat", konservativer Politik.
Die Hoffnung von CSU und CDU, dass eine "Migrationswende" im Bund der AfD den Nährboden entzieht, hat sich bisher nicht erfüllt. Obwohl es rund 60 Prozent weniger Asylanträge gibt, sind die bundesweiten AfD-Umfragewerte gestiegen. Ex-CSU-Chef Erwin Huber ermahnte seine Partei daher, der AfD rhetorisch nicht nachzueifern: Es sei falsch, "die gleichen Parolen" zu verbreiten und "zu glauben, damit nimmt man den Rechten den Wind aus den Segeln".
Laut Münch hegen zum einen viele Menschen beim Thema Migration noch einen Argwohn gegen die Union. Zum anderen mache sich die AfD auch andere Themen zu eigen, wie Wirtschaft und Bildung. "Quasi jede kaputte Schultoilette wird von der AfD dann auch gleich inszeniert."
Gewerkschaft: "Kräftig investieren"
Der DGB attestiert dem Ministerpräsidenten zwar mehr Engagement für Wirtschaft und Arbeitsplätze als seinem Wirtschaftsminister, sieht aber über das "Bayern-Paket" hinaus Handlungsbedarf. "Als Gewerkschaften fordern wir ja schon seit langem, dass man kräftig investieren muss, in Kitas, in Krankenhäuser, in Schienenverkehr, in Digitalisierung", sagte DGB-Landeschef Bernhard Stiedl. Geld aus dem Sondervermögen für die Gemeinden könne einen starken Beitrag leisten. Bayern müsse aber dem Beispiel von Rheinland-Pfalz folgen und bei den Haushaltsberatungen "aus Landesmitteln noch mal eine ordentliche Schippe" drauflegen.
Mehr Geld für Kommunen ist auch die Kernforderung des Gemeindetags. Ob Söders "Bayern-Paket" ein Schritt zum landespolitischen Aufbruch ist, auf den Verbandschef Brandl hofft, lässt der Gemeindetag offen: Man könne die Ankündigungen noch nicht seriös bewerten. Auch für Bayern gilt, was Söder selbst kürzlich vom Bund forderte: "Aus dem Herbst der Ankündigungen muss der Herbst der Entscheidungen werden. Wir müssen jetzt liefern."
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