ICE – die US-Behörde soll auf Weisung Donald Trumps das "größte Massenabschiebeprogramm der Geschichte" umsetzen. In den (sozialen) Medien werden Vergleiche mit der Gestapo gezogen, der politischen Polizei im NS-Staat, die mit beinahe unbeschränkten Machtbefugnissen gegen Regimegegner vorging. Sind solche Vergleiche angemessen? BR24 hat mit Magnus Brechtken gesprochen, dem Vizedirektor des Münchner Instituts für Zeitgeschichte und ausgewiesenen Nationalsozialismus-Experten.
BR24: Herr Brechtken, erleben die USA gerade das deutsche 1933?
Magnus Brechtken: Wenn Sie eine ganz direkte Antwort haben wollen: Das ist totaler Quatsch. 1933 ist ja offensichtlich die Konnotation, die Anspielung auf das "Dritte Reich". Die Übernahme der Macht durch die Nationalsozialisten, die Machtübergabe an Hitler und das, was daraus folgte, das ist in den USA nicht der Fall. Es gibt in den USA nach wie vor eine funktionierende Demokratie, die ist nur derzeit in großen, schweren Fahrwassern und die Autokratisierungsversuche von Donald Trump sind in jedem Falle gefährlich.
Zugleich hatte aber das Deutschland von 1933 eine ganz andere Tradition als die Vereinigten Staaten im Jahre 2025. Dort wird sich der Widerstand gegen diese Art von Autokratisierung manifestieren, und das wird ganz anders sein – davon gehe ich jedenfalls aus – als in 1933, wo die Nationalsozialisten innerhalb von anderthalb Jahren dann eine totale Macht errichten konnten.
"ICE mit der Gestapo gleichzusetzen, ist falsch"
BR24: Mit Trump werden ja jetzt wieder verstärkt NS-Vergleiche gezogen. Zum Beispiel wird gesagt, ICE, das United States Immigration and Customs Enforcement, sei eine Art von Gestapo …
Brechtken: Ich finde, man darf alles vergleichen. Man muss dann aber nach dem Vergleich auch feststellen, ob die Dinge gleichzusetzen sind. ICE mit der Gestapo gleichzusetzen, ist falsch. Selbstverständlich versuchen Institutionen wie ICE jetzt Signale in die Gesellschaft zu senden, und auch natürlich durch ihre Praxis, Dinge umzusetzen.
Zugleich gibt es, wie man jetzt schon überall lesen kann, natürlich auch massive Gegenbewegungen gegen ICE. Diese Gegenbewegungen lassen sich nicht einfach unterdrücken, indem man beispielsweise hunderttausende von Menschen, wie das 1933/34 geschehen ist, wegsperrt in Konzentrationslagern, in Folterkellern unterbringt und damit die Gesellschaft einschüchtert.
"USA stehen bis heute in einer demokratischen Tradition"
BR24: Die USA haben ja seit knapp 250 Jahren eine demokratische Tradition hinter sich. Ist das vielleicht auch die Chance, dass es eben nicht so wird wie 1933 in Deutschland?
Brechtken: Das ist ein ganz entscheidender Punkt, den Sie ansprechen. Als das Deutsche Reich 1918 den Krieg verloren hatte, kamen viele Deutsche aus einer jahrhunderterhalten Tradition des Obrigkeitsstaates und autoritärer Führung. Die Weimarer Republik war über die meiste Zeit nicht besonders populär. Das hatte was mit der Niederlage 1918 zu tun, die man auf die Demokratie schob. Das hatte etwas mit der Inflation und den Wirtschaftskrisen zu tun, die man ebenfalls auf die Demokratie und die Republik geschoben hat.
Auch in den Vereinigten Staaten gab es in den 1930er Jahren eine massive Wirtschaftskrise, davon waren Millionen von Menschen betroffen, genauso wie in Europa, genauso wie im Deutschen Reich. Damals hat man aber eben nicht auf eine autoritäre, auf eine diktatorische, auf eine totalitäre Führung gesetzt, sondern auf das Individuum, auf die Freisetzung des Marktes, auf individuelle Verantwortlichkeit. Das ist die Tradition, in denen die Vereinigten Staaten bis heute stehen.
"Hoffungen in Trump werden sich nicht bewahrheiten"
BR24: Die Befürworter von Trumps Politik sagen ja, wer illegal im Land ist, der muss sich nicht wundern. Der verdient das auch. Gibt es nicht eine Menge an Menschen, die Trumps Autokratisierungsversuche mitmachen?
Brechtken: Natürlich ist es richtig, dass ein Teil der Wähler von Donald Trump dem Kult einer Sekte folgt und für diese Argumente nicht zugänglich ist. Vieles, was jetzt auf Donald Trump projiziert wird an Hoffnungen, wird sich aber ökonomisch nicht bewahrheiten. Und was nach Donald Trump, der inzwischen 79 ist, kommen wird, ist eine ganz offene Frage. Ich habe große Zweifel, ob es einer Person nach Trump gelingen wird, diese Form von Projektionsfläche zu schaffen, die Trump über 30 Jahre aufgebaut hat und auf die jetzt viele Millionen Wählerinnen und Wähler ihre Hoffnung setzen.
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