Vor fünfeinhalb Jahren war Lisa Poettinger in einem tiefen Loch. Im Sommer 2019, erzählt die Aktivistin, dachte sie noch, dass der Klimawandel nicht aufzuhalten sei. Doch dann gehen Fridays for Future auf die Straße. "Das hat mich abgeholt", erzählt Poettinger, die damals anfängt, sich bei der Gruppe Extinction Rebellion zu engagieren.
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Von Klimaaktivismus zum Berufsverbot
Im Herbst 2019 stehen weltweit Millionen Menschen für Klimagerechtigkeit auf der Straße. Menschen wie Lisa Poettinger, die heute auch deshalb um ihre berufliche Zukunft bangt. Ihr Fall ist deutschlandweit bekannt.
Der Staat Bayern verhängte ein Berufsverbot gegen die Aktivistin, die eigentlich Lehrerin werden will. Das Kultusministerium ordnet die 28-Jährige dem linksextremen Spektrum zu und zweifelt an ihrer Verfassungstreue. Poettinger geht dagegen juristisch vor. Bislang noch ohne Erfolg: Sie warte noch immer auf Einsicht in die Akten, sagt sie.
Politische Repressionen gegen Klimaaktivisten?
Geschichten wie ihre sind laut Poettinger ein Grund, warum die Klimabewegung aktuell so schwach ist. Gleichzeitig hat Poettinger nach eigenen Angaben auch weniger Zeit für Klimaaktivismus, weil jede Woche "mehrere Stunden mit Berufsverbotsarbeit besetzt sind", sagt sie.
Andererseits hätten die Repressionen bei vielen aber auch dazu beigetragen, staatskritischer zu werden. "Wie kann es eigentlich sein, dass wir, wenn wir gegen die Zerstörung der Lebensgrundlagen protestieren, mit drakonischen Strafen überzogen werden?", fragt Lisa Poettinger.
Die "Letzte Generation" orientiert sich neu
Auch die Berliner Aktivistin Carla Hinrichs setzt sich aktuell mit den deutschen Gerichten auseinander. Sie war eine der Köpfe der "Letzten Generation". Hinrichs hat eine 149 Seiten lange Anklageschrift wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung auf dem Schreibtisch liegen. Im schlimmsten Fall droht ihr eine Gefängnisstrafe. Auch deshalb haben sie und andere Aktivistinnen sich umorientiert.
Die "Letzte Generation" gibt es nicht mehr, Hinrichs ist jetzt Teil der "Neuen Generation". Ihre Erklärung: Das Zeitfenster, in dem man die Klimakrise noch abwenden hätte können, sei vorbei. Es gehe nun darum, Strategien zu entwickeln, wie man mit der Erderwärmung umgeht.
Was die "Neue Generation" erreichen will
Eine Idee der "Neue Generation" ist das "Parlament der Menschen". Es soll eine Art Bürgerrat sein, der direktdemokratisch ausgelost wird. Im Kleinen habe man das schon getestet. Carla Hinrichs wünscht sich, dass diese Bürgerräte sich in ganz Deutschland ausbreiten – und lokale Probleme lösen. Ihre Begründung: "Weil wir davon ausgehen, dass der Staat nicht geeignet ist, große Krisen anzugehen, sondern vielmehr ein Parlament des Profits dort sitzt."
Klimaaktivistin: Politik hat zu wenige Forderungen umgesetzt
Die Münchner Klimaaktivistin Pia sieht auch die Politik verantwortlich für den Frust in der Klimaszene. "Viele Teile der Klimabewegung haben Hoffnungen gesetzt in reformistische Forderungen", sagt sie. Doch zwei Momente hätten die Hoffnungen zerschlagen: Das Klima-Paket 2019, das die Forderungen von Fridays for Future nicht umgesetzt habe und der Protest für das Dorf Lützerath, das dennoch für einen Braunkohletagebau weichen musste.
Klimaaktivisten orientieren sich um
Heute beschäftigen sich viele Protagonisten von früher außerdem mit Themen wie dem Rechtsruck, dem Krieg im Nahen Osten oder den explodierenden Mieten. Der ehemalige Münchner Klimaaktivist Oscar ist zum Beispiel nach Berlin gezogen und engagiert sich bei der Gruppe "Deutsche Wohnen & Co Enteignen". Mietproteste hält er für sinnvoller, als sich auf die Straße zu kleben. "Wir müssen mit den Leuten sprechen, gemeinsam mit ihnen Politik machen", findet Oscar.
Und ganz weg ist die Klimabewegung nicht. In München findet diesen Sommer die Internationale Automobilausstellung statt. Auch Lisa Poettinger wird dagegen protestieren – Berufsverbotsverfahren hin oder her.
"Hitze und Hochwasser: Was kostet uns der Klimawandel?" Darüber diskutieren am Mittwochabend in der Münchner Runde um 20:15 Uhr Jürgen Trittin, ehemaliger Bundesumweltminister (Bündnis 90/Die Grünen), Martin Huber, CSU-Generalsekretär, Katja Horneffer, ZDF-Wettermoderatorin und Meteorologin, Prof. Annette Menzel, Klimaforscherin an der TU München, sowie Saidi Sulilatu, Chefredakteur von Finanztip.
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