Für einige bayerische Unternehmen dürfte die Nachricht eine Erleichterung gewesen sein: Das EU-Lieferkettengesetz soll noch einmal deutlich abgeschwächt werden. Darauf hatten sich Unterhändler des EU-Parlaments und der Mitgliedstaaten geeinigt. Demnach sollen die Regeln nur noch für Unternehmen mit mehr als 5.000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von mindestens 1,5 Milliarden Euro gelten. Ursprünglich geplant war, dass bereits Unternehmen ab 1.000 Mitarbeitenden und einem Jahresumsatz ab 450 Millionen Euro die Regeln des Lieferkettengesetzes befolgen müssen.
Eigentlich ist das Ziel des Lieferkettengesetzes, Menschenrechte weltweit zu stärken. Große Unternehmen sollen zur Rechenschaft gezogen werden können, wenn sie von Menschenrechtsverletzungen wie Kinder- oder Zwangsarbeit oder Umweltverschmutzung profitieren.
Keine Klagen auf EU-Ebene, keine verbindlichen Klimaschutzpläne
Neu an dem verhandelten Kompromiss ist, dass Unternehmen bei Menschenrechtsverstößen auf EU-Ebene nicht mehr zivilrechtlich haften würden – wodurch für Opfer eine Klagemöglichkeit wegfallen würde. Gestrichen wird wohl auch die Pflicht für Unternehmen, verbindlich die Reduzierung ihrer ausgestoßenen Treibhausgase zu planen. Künftig soll eine Strafe von maximal drei Prozent des weltweiten Nettoumsatzes drohen, wenn sich Unternehmen nicht an die Vorgaben halten.
Die Mitgliedstaaten sollen die EU-Vorgaben bis zum 26. Juli 2028 in nationales Recht umsetzen, ein Jahr später sollen die Regeln für die Unternehmen in Kraft treten. Die Einigung muss noch formal von Parlament und Rat bestätigt werden.
Das EU-Lieferkettengesetz soll künftig nur für große Unternehmen mit hohen Umsätzen gelten.
IHK Oberbayern: Lieferkettengesetz ein "Bürokratiemonster"
Der Hauptgeschäftsführer der IHK für München und Oberbayern, Manfred Gößl, nannte die Entschärfung eine "Erleichterung". Durch den neu verhandelten Kompromiss werde das Gesetz seiner Einschätzung nach in Bayern nur noch 30 bis 50 Unternehmen betreffen, deutschlandweit seien es ungefähr 250 bis 300 Unternehmen - deutlich weniger als bisher: Denn mehrere Tausend deutsche Unternehmen haben zwar mehr als 1.000 Mitarbeitende - der bisherige Grenzwert - aber weniger als 5.000 Mitarbeitende.
Unklar sei aber noch, ob die EU-Regelung von großen Unternehmen an kleinere, oftmals mittelständische Zulieferer durchgereicht werden können. Dieses "Bürokratiemonster" überfordere kleine und mittelständische Unternehmen, so Gößl.
Zunächst habe die vorgesehene Abschwächung der EU-Regelung aber keine Auswirkung auf die deutschen und bayerischen Unternehmen. Denn: Seit 2023 gilt in Deutschland ein nationales Lieferkettengesetz. IHK-Chef Gößl schätzt, dass von dem nationalen Gesetz deutschlandweit rund 5.000 Unternehmen betroffen sind, und 1.000 davon in Bayern. Gößl spricht von einer "massiven Unsicherheit in wirtschaftlich schlechten Zeiten", die das nationale Lieferkettengesetz bei den deutschen Firmen verursache – und fordert: "Das muss weg."
Diese Kritik aus der Wirtschaft fand bereits Gehör bei der Bundesregierung: Im September hatte sie eine Abschwächung des nationalen Gesetzes angestoßen. Das Bundeswirtschaftsministerium hatte die zuständige Kontrollbehörde, das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) dazu angewiesen, bei der Anwendung des Gesetzes "zurückhaltend und unternehmensfreundlich" zu agieren.
Oxfam: "Schlag ins Gesicht für alle Betroffenen"
Die Menschenrechtsorganisation Oxfam argumentiert dagegen, dass das Lieferkettenschutzgesetz ein wichtiger Hebel sei, um Menschenrechte und Umweltschutz konsequent entlang der Lieferkette umzusetzen. Das deutsche Gesetz habe bereits Erfolge gefeiert, etwa bei Arbeitnehmerrechten für Arbeiter auf Bananenplantagen in Ecuador und Costa Rica, die deutsche Supermärkte beliefern, erklärt Tim Zahn, Referent für Menschenrechte in globalen Lieferketten, dem BR.
Entsprechend scharf kritisiert er auch den ausgehandelten Kompromiss auf EU-Ebene: Der Vorschlag sei "ein Schlag ins Gesicht für alle Betroffenen entlang von Lieferketten", so Zahn. Die Einigung bedeute die Abkehr vom Schutz von Umwelt und Menschenrechten. "Die Abschwächung der EU-Lieferkettenrichtlinie sieht vor, dass künftig nur noch etwa 120 Großkonzerne in Deutschland unter die Regelung fallen – ein Bruchteil der ursprünglich umfassten Unternehmen."
Abschwächung mit Hilfe von rechten Parteien im EU-Parlament
Eigentlich hatte das EU-Parlament das Lieferkettengesetz bereits 2024 beschlossen. Die Umsetzung durch die Mitgliedsländer sollte innerhalb von zwei Jahren erfolgen. Dann wurden die Fristen verschoben. Die Europaparlamentsfraktion um CDU und CSU hat den Weg für die jetzt geplante Abschwächung des Lieferkettengesetzes mit der Unterstützung rechter und rechtspopulistischer Parteien freigemacht.
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