Darum geht's:
- Bei der Diskussion über den "Preis" von Atomstrom werden regelmäßig verschiedene Perspektiven oder Kennzahlen miteinander vermischt.
- Die Stromgestehungskosten von Atomstrom sind teurer als die der meisten anderen Energieträger. Sie sagen aber nichts über den Strombörsenpreis oder den Stromverbraucherpreis aus.
- Zwei Experten sagen: In einem treibhausneutralen europäischen Energiesystem würde sich Atomstrom wahrscheinlich nicht rentieren.
Zehntausende Menschen hatten sich versammelt, um den Knall zu hören und die Riesen fallen zu sehen: Am 25. Oktober 2025 wurden in Gundremmingen die 160 Meter hohen Kühltürme des stillgelegten Kernkraftwerks gesprengt.
Ein Bild mit Symbolkraft: Die Stromproduktion mit Kernkraft ist in Deutschland erst einmal Geschichte. Diskutiert wird über Atomstrom aber noch immer regelmäßig. Auch in Gundremmingen demonstrierten Menschen für eine Weiternutzung der Kernkraft. CDU und CSU machten sich dafür auch in den letzten Koalitionsverhandlungen stark - letztlich erfolglos.
Im Fokus der Diskussion: Wie viel kostet Atomstrom?
Häufig geht es in den Diskussionen um den Preis von in AKW erzeugtem Strom. Die AfD bezeichnet Kernkraft zum Beispiel als "preiswerte" Energieversorgung. Die Heinrich-Böll-Stiftung, die parteinahe Stiftung der Grünen, schreibt dagegen "Atomstrom ist teuer". Und auch die Bürgerinnen und Bürger diskutieren über die Kostenfrage. Atomstrom sei ein "teures Produkt", schreibt ein User auf X. Ein anderer behauptet, Kernkraft gewinne den Kostenvergleich gegen andere Formen der Stromerzeugung
Ist Atomstrom teuer oder günstig? Das kommt darauf an: Welchen Preis betrachtet man? (Symbolbild)
In der Diskussion werden aber regelmäßig verschiedene Ebenen und verschiedene Strompreise miteinander vermischt. Ob Atomstrom teurer oder günstiger als andere Arten der Stromerzeugung ist, hängt also davon ab, welchen Preis genau man betrachtet.
Das kurze Fazit: Kernkraftwerke, die bereits stehen oder deren Baukosten bereits abgeschrieben sind, können günstiger Strom produzieren und verkaufen als konventionelle Kraftwerke. Das sagt aber noch nichts darüber aus, ob es auch profitabel ist.
Würde man ein komplett neues Kernkraftwerk ohne Subventionen bauen, dann wären die durchschnittlichen Produktionskosten pro Kilowattstunde Strom laut Berechnungen wahrscheinlich deutlich höher als etwa bei erneuerbaren Energieträgern. Der Endpreis für den einzelnen Stromkunden hängt aber noch von anderen Faktoren ab und kann staatlich reguliert werden.
Betrachtet man das gesamte Energiesystem, ist die Frage komplex: Denn derzeit werden erneuerbare Energien stark ausgebaut, um Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Das bringt sogenannte Systemkosten mit sich, wie zum Beispiel für den Netzausbau. Gleichzeitig gibt es Kosten für den Rückbau und die Endlagerung bei Kernkraft. Zwei Experten sagen dem #Faktenfuchs: Kernkraft würde sich in einem Energiesystem, das ausschließlich mit Strom läuft, nur rechnen, falls die Baukosten für AKW deutlich sinken.
In diesem #Faktenfuchs werden deswegen drei unterschiedliche Aspekte der Frage behandelt:
- Die Stromgestehungskosten: Was sind sie und was sagen sie aus?
- Der Strompreis an der Börse und der Strompreis des einzelnen Verbrauchers
- Kosten und Nutzen von Atomkraft im gesamten Energiesystem
1. Stromgestehungskosten: Was sagen diese eigentlich aus?
Die Stromgestehungskosten werden häufig verwendet, um unterschiedliche Energieträger - also etwa Wind, Wasserkraft oder Atomkraft - zu vergleichen. Folgende Rechnung wird dafür aufgestellt: Die geschätzten gesamten Kosten für den Bau, Betrieb und Wartung eines neuen Kraftwerks werden geteilt durch die gesamte Menge an Strom, die dieses Kraftwerk in seiner voraussichtlichen Betriebsdauer produziert. Am Ende steht ein Geldbetrag pro Kilowattstunde (kWh) Strom, der Anhaltspunkt für einen Vergleich ist.
"Die Stromgestehungskosten sind sowas wie eine Durchschnittskostenrechnung", sagt der Energieökonom Mario Liebensteiner von der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) Erlangen-Nürnberg. Liebensteiner ist dort Juniorprofessor für Energiemärkte und Energiesystemanalyse.
Bei Kernkraftwerken sind die Berechnungen zu den Stromgestehungskosten sehr variabel und unsicher: Aufgrund der sehr langen Bauzeiten und Betriebszeiten und der schwer abzuschätzenden Investitionskosten. Kernkraftwerke schneiden bei den Stromgestehungskosten gegenüber Solar- und Windkraft meist teurer ab. Auch im Vergleich mit Gas oder Kohle sind sie meist teurer.
Die US-Investmentbank Lazard veröffentlicht jährlich Berechnungen zu Stromgestehungskosten. 2025 lagen diese für Kernkraft in den USA bei circa 13 bis 20 Cent pro Kilowattstunde (kWh). Das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) berechnete 2024 für Kernkraftwerke in Deutschland eine Spanne von 13,6 bis 49 Cent/kWH.
Stromgestehungskosten für Erneuerbare Energien und konventionelle Kraftwerke an Standorten in Deutschland im Jahr 2024.
Die große Spanne bei Kernkraftwerken erklärt sich bei der ISE-Rechnung anhand zweier Faktoren: Erstens, die Anzahl der "Volllaststunden" pro Jahr, in denen das Kraftwerk Strom produziert. Je mehr Stunden, desto stärker sinken die Stromgestehungskosten. Zweitens, so das ISE: "Die Investitionskosten für Kernkraftwerke sind extrem kapitalintensiv und können je nach Standort, Technologie und regulatorischen Anforderungen stark variieren."
Hohe Bau- und Finanzierungskosten verteuern Gestehungskosten für Atomstrom
Der Hauptfaktor, der die Stromgestehungskosten der Kernkraft verteuert: Die enormen Kosten für den Bau eines Kraftwerks sowie die jährlichen Zinskosten für dieses eingesetzte Kapital. "Grundsätzlich ist es teurer, ein Kernkraftwerk zu bauen als andere Technologien, weil ein Kernkraftwerk einfach ein extrem aufwändiges und komplexes Infrastrukturprojekt ist", sagt Alexander Wimmers von der Technischen Universität (TU) Berlin. Er forscht dort zur Ökonomie und dem Rückbau von Kernkraftwerken.
In Großbritannien wird derzeit das Kernkraftwerk Hinkley Point C gebaut, fertig wird es laut dem Betreiber frühestens 2029. Die geschätzten Kosten stiegen von zunächst 21 Milliarden auf 55 Milliarden Euro. In Frankreich ging im Dezember 2024 ein neuer Reaktor im Kernkraftwerk Flamanville ans Netz: Zwölf Jahre später als geplant, die Kosten stiegen von ursprünglich 3,3 Milliarden auf 13,2 Milliarden Euro, berichtete die französische Zeitung "Le Monde".
Ein Argument pro Kernkraft lautet: Je mehr Reaktoren gebaut werden, desto billiger werden die Projekte, weil Lerneffekte eintreten. Alexander Wimmers und Kollegen untersuchten in einer Studie aus 2025 die tatsächlichen oder geschätzten Kosten von insgesamt 45 Reaktor-Bauprojekten. Die Autoren schreiben, es bestünden Zweifel an den vorhergesagten Lerneffekten.
"Aus der Vergangenheit sehen wir eher, dass die Kraftwerke tendenziell teurer werden", sagt Wimmers. Man könne zwar sagen, dass das an gestiegenen Sicherheitsanforderungen liege. "Aber das hat man ja nicht aus Spaß gemacht, um die Kosten hochzutreiben, sondern weil eben das Risiko einer Kernschmelze besteht."
Externe Effekte fehlen oft bei Stromgestehungskosten: Endlagerung und klimaneutraler Strom
Regelmäßig werden in Berechnungen zu den Stromgestehungskosten für Atomkraft externe Effekte mit Absicht ausgeklammert, weil sie schwer zu berechnen sind. Externe Effekte sind zum Beispiel: Die Kosten für den Rückbau der AKW und die Endlagerung des Materials. Oder das Risiko eines nuklearen Unfalls. Andererseits gibt es auch positive externe Effekte: Die treibhausgasarme Stromproduktion und die ständige Verfügbarkeit des Kraftwerks.
"Bei Nuklearanlagen ist es recht schwierig, Rückbaukosten beziehungsweise auch Endlagerungskosten zu berechnen", sagt Energieökonom Mario Liebensteiner von der FAU. Denn es gibt relativ gesehen nur wenige vollständig rückgebaute Reaktoren weltweit. Ebenso gibt es wenige gebaute Endlager für hochradioaktive Abfälle. Die Bundesgesellschaft für Endlagerung schreibt: "Nach Berechnungen der Bundesregierung werden die Kosten für die gesamte Entsorgung bis 2100 auf rund 170 Milliarden Euro wachsen." Diese Kosten sollen aus einen Fonds bezahlt werden, in den die Betreiber eingezahlt haben.
Auch hier ist allerdings zu beachten: Externe Folgekosten gibt es auch bei anderen Energieträgern. Mario Liebensteiner sagt: Verbrennt man Kohle, so hat das umwelt- und gesundheitsschädliche Folgen. Subventioniert man erneuerbare Energien und baut für sie die Netze aus, dann kostet das ebenfalls Geld.
Zusammenfassend sagen alle drei Experten, mit denen der #Faktenfuchs über das Thema Atomstrom gesprochen hat: Die Stromgestehungskosten sind ein guter Indikator für einen Vergleich. Aber sie würden oft auch missverstanden oder falsch benutzt.
2. Stromgestehungskosten sagen nichts über Strombörsenpreis oder Stromverbraucherpreis aus
"Stromgestehungskosten sagen nichts aus über Strompreis, Profitabilität oder den Systemnutzen", sagt der Energieökonom Mario Liebensteiner. Die Stromgestehungskosten haben nämlich nur teilweise etwas mit der Stromrechnung eines Haushalts oder den gesamten gesellschaftlichen Kosten oder Nutzen zu tun.
Bestehende Kernkraftwerke produzieren relativ günstig, müssen deswegen aber nicht profitabel sein
Strom wird an Börsen gehandelt und zum Beispiel für die nächsten Stunden, den nächsten Tag oder langfristig für die nächsten Jahre gehandelt. Stromversorgungsunternehmen kaufen Strom zunächst an der Strombörse von den Kraftwerksbetreibern ein. Sie legen in Deutschland auch den Preis für den Endkunden fest, der in seiner Wohnung Strom verbraucht. Der Börsenpreis macht aber nur einen Teil dieses Endkundenpreises aus. Dazu kommen noch die Betriebskosten des Stromversorgers, Steuern und andere staatliche Abgaben und Netzentgelte an die Netzbetreiber, die Masten und Leitungen bereitstellen.
Hier wird es komplexer: Sobald ein Kernkraftwerk einmal steht, kann es relativ günstig Strom produzieren, weil die laufenden Kosten für die Produktion gering sind. "Ich schmeiße das einmal an, einmal im Jahr muss ich meine Brennstäbe austauschen und dann läuft das durch", sagt Alexander Wimmers von der TU Berlin.
Gaskraftwerke seien hingegen teurer, weil der Brennstoff ständig nachgekauft werden muss. Die Kosten für jede produzierte Einheit Strom, sobald ein Kraftwerk steht und in Betrieb ist, sind die sogenannten "Grenzkosten". Die Berechnung der Investmentbank Lazard kommt für vollständig abgeschriebene Kernkraftwerke in den USA auf Grenzkosten im Bereich von 3 Cent/kWH (Stand 2025). Aber diese Grenzkosten sagen nichts darüber aus, ob das Kraftwerk profitabel läuft.
Wie kommt der Strombörsenpreis zustande?
Für den Strompreis an der Börse sind diese Grenzkosten entscheidend, sagt Liebensteiner von der FAU. An der Börse bieten die Kraftwerke ihren produzierten Strom nämlich zu Preisen an, die nahe dieser Grenzkosten liegen, um den Zuschlag eines Käufers zu bekommen. Je mehr Strom zu niedrigen Grenzkosten produziert wird, desto niedriger ist also der Strompreis an der Börse.
An der Strombörse wird nach dem Merit-Order-Prinzip gehandelt. Angenommen, 100 Einheiten Strom werden benötigt: Das teuerste Kraftwerk, das benötigt wird, um die nachgefragte Strommenge komplett zu decken, setzt den benötigten Preis. Selbst wenn es nur 5 Einheiten Strom verkauft. Alle anderen Kraftwerke, die die restlichen 95 Einheiten günstiger verkaufen, bekommen ebenfalls den Preis, zu dem dieses "letzte Kraftwerk" anbietet.
Kernkraftwerke machen damit Gewinn, dass das letzte benötigte Kraftwerk oft ein Gas- oder Kohlekraftwerk mit höheren Grenzkosten ist. Das bedeutet: Sind die Preise an der Strombörse sehr niedrig, rentiert sich der Betrieb eines Atomkraftwerks wahrscheinlich nicht mehr. Denn die hohen Anfangsinvestitionen des Kraftwerks (Stromgestehungskosten) müssen ja über den verkauften Strom wieder erwirtschaftet werden. Als die Strombörsenpreise 2016 in Deutschland sehr niedrig lagen, sagten Manager des Eigentümer-Konzerns RWE: Das AKW Gundremmingen sei kaum wirtschaftlich zu betreiben, ein Wechsel der Brennelemente lohne sich nicht.
Der Strombörsenpreis muss aber nicht der einzige Faktor sein, von dem die Profitabilität eines Kraftwerks abhängt. Dieser kann auch von staatlichen Subventionen beeinflusst sein, wie Liebensteiner erklärt. Der Think Tank Forum Sozial-Ökologische Marktwirtschaft berechnete, dass in Deutschland von 1955 bis 2022 mindestens 112 Milliarden Euro an direkten staatlichen Förderungen an die Atomenergie geflossen seien. Klar ist, dass auch der Ausbau der Erneuerbaren, um die Klimaziele zu erreichen, Geld kostet. In einer Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung wurde der Investitionsbedarf etwa für die deutschen Stromnetze auf 650 Milliarden Euro in den nächsten zwanzig Jahren geschätzt.
Was kann den Stromverbraucherpreis beeinflussen?
Der Strompreis für die Kunden kann ebenfalls über staatliche Eingriffe gesteuert werden. Energieökonom Mario Liebensteiner sagt: Mehr Atomstrom senkt den Strombörsenpreis, gleichzeitig könne ein neues Atomkraftwerk den Strom-Endkundenpreis steigern. Das funktioniert so: Weil die anfänglichen Investitionskosten für ein AKW so hoch sind, garantiere ein Staat einem Betreiber zum Beispiel für einen langen Zeitraum einen festen Abnahmepreis für den erzeugten Strom. Wenn nun der Marktpreis unter diesen Abnahmepreis sinkt, würde der Staat die Differenz ausgleichen.
In Großbritannien garantiert der Staat dem geplanten Kernkraftwerk Hinkley Point C 92,50 Pfund (ca. 108 Euro) für jede Megawattstunde laut einem Bericht des "Guardian". Der durchschnittliche Großhandelsstrompreis in Deutschland lag 2024 bei 78,5 Euro pro Megawattstunde.
Liebensteiner sagt, es sei die Regel, dass Staaten Kernkraftwerke unterstützen. "Und diese staatlichen Subventionen landen dann meist über Umlagen auf den Stromrechnungen der Verbraucher", so Liebensteiner.
Dasselbe passiere aber genauso bei Erneuerbaren wie Solar- oder Windkraft, sagt Liebensteiner: Auch hier würden staatliche Subventionen wie garantierte Einspeisevergütungen oder auch die Kosten für den Netzausbau über Umlagen auf der Stromrechnung des Privatverbrauchers landen. In Deutschland bezahlten die Verbraucher bis 2022 zum Beispiel über die EEG-Umlage die garantierten Einspeisetarife für Erneuerbare. Zum Zeitpunkt der Abschaffung lag sie bei 3,7 Cent/kWh. Stromgewinnung aus Kohle oder Gaskraftwerke bekommen ebenfalls staatliche Hilfen.
Liebensteiners Fazit: "Weder Windenergie an Land noch Windenergie auf See noch verschiedene Formen von Photovoltaik wie auch Nuklearanlagen sind grundsätzlich ohne staatliche Subvention rentabel am Markt betreibbar." Nach einer Berechnung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin ist Atomkraft "in keinem Fall" betriebswirtschaftlich rentabel: "Dies gilt selbst für konservative Annahmen mit hohen Strompreisen, niedrigen Kapitalkosten und niedrigen spezifischen Investitionen."
3. Kosten und Nutzen der Kernkraft in einem elektrifizierten Energiesystem
Es gibt noch eine Vogelperspektive auf die Frage: Wie teuer ist Atomstrom? Alexander Wimmers von der TU Berlin und sein Kollege Leonard Göke von der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich haben in einer 2025 erschienenen Studie versucht, eine möglichst umfassende Antwort zu finden. Göke ist Experte für die Modellierung von Energiesystemen.
Vergleicht man nämlich nur Stromgestehungskosten, Börsen- oder Verbraucherpreise, bleiben einige Faktoren außen vor. "Ich glaube, der kritischste Punkt ist die Zeitlichkeit", sagt Göke. Also die Frage, ob zu jedem Zeitpunkt so viel Strom vorhanden ist, wie nachgefragt wird. Und der Strombedarf in Deutschland und Europa wird in Zukunft deutlich steigen.
Denn Deutschland darf laut Klimaschutzgesetz ab 2045 nicht mehr Treibhausgase ausstoßen, als es Treibhausgase aus der Atmosphäre entzieht. Das bedeutet: Konventionelle Energieträger wie Gas, Kohle oder Öl müssen durch emissionsfreie Energieträger wie Wind, Wasser, Sonne oder grünen Wasserstoff ersetzt werden. Dafür muss nicht nur die Stromproduktion umgestellt werden.
Studie modelliert gesamteuropäisches Energiesystem
Auch der Verkehr, die Industrieproduktion und die Wärmeversorgung werden zunehmend elektrifiziert. Dafür sind laut Bundeswirtschaftsministerium "umfangreiche Investitionen" erforderlich. Zum Beispiel müssen die Stromproduktion, die Stromspeicherung und die Stromnetze ausgebaut werden.
In dem Modell von Göke und Wimmers wurde ein gesamteuropäisches Energiesystem für das Jahr 2040 simuliert. Die Vorgaben für das Modell: Es muss treibhausgasneutral sein und es muss die Energienachfrage aller Sektoren decken.
Der Vorteil des Modells ist laut Göke, dass Flexibilitätskosten und Kosten der Räumlichkeit eingepreist werden. "Das Modell muss dann eben den Speicher bauen, wenn es die Solarenergie, die mittags erzeugt wird, abends nutzen möchte."
Studie: Atomstrom rechnet sich nur bei sinkenden Baukosten
Das Ergebnis in punkto Atomkraft: Laut dem Modell müssten Kernkraftwerke deutlich billiger und schneller gebaut werden als bisher, um sich in einem solchen Energiesystem zu rentieren. Damit sich beispielsweise ein Anteil von 10 Prozent Kernkraft an der Stromerzeugung rechnet, müssten die Baukosten auf 4.120 US-Dollar pro Kilowatt sinken, bei einer Bauzeit von sieben Jahren. Dieser Wert wurde in Europa oder den USA bisher nie erreicht, schreiben die Autoren an anderer Stelle.
Ein Argument pro Kernkraft lautet: Da AKW unabhängig vom Wetter produzieren, haben sie Vorteile gegenüber Erneuerbaren. Laut dem Modell von Göke und Wimmers wäre ein Energiesystem mit komplett erneuerbaren Energien aber ebenfalls billiger als ein Modell mit sehr viel Kernkraft. Wie gesagt: In diesem Modell muss ebenfalls die Energieversorgung zu jeder Zeit gedeckt sein, in Dunkelflauten zum Beispiel mit Kraftwerken, die mit grünem Wasserstoff laufen.
In der Studie vergleichen sie folgende beiden Fälle: Bei 100 Prozent Stromerzeugung aus Erneuerbaren werden Kosten für den Netzausbau, zusätzliche Wärmekraftwerke, die mit grünem Wasserstoff betrieben werden oder Stromtrassen zwischen den Ländern fällig. Laut Modell kostet das rund 21 Milliarden US-Dollar jährlich.
Diese Investitionen fielen bei sehr viel Atomstrom im System, nämlich 52 Prozent, zwar weg. Knackpunkt sind hier aber wieder die Baukosten für die benötigten Kernkraftwerke, die dazu führen, dass die Atomkraft deutlich teurer wäre. Wären die Baukosten für die benötigten Kraftwerke der Medianwert derzeitiger Projekte, fielen Kosten von circa 68 Milliarden Euro jährlich an.
"Wenn ich aus einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive auf die Kosten schaue, dann ist Atomenergie mit das Teuerste, was man bauen kann", sagt Alexander Wimmers.
Fazit
Ob Atomstrom teurer oder günstiger als Strom aus anderen Energieträgern ist, kommt auf die Kennzahlen an, die man vergleicht. Da der Bau neuer Kernkraftwerke teuer ist, sind die durchschnittlichen Produktionskosten (Stromgestehungskosten) für Atomstrom relativ hoch. Der Betrieb eines Kernkraftwerks ist wiederum relativ günstig: Deswegen sind zusätzlich produzierte Einheiten Atomstrom und ihr Preis an der Börse ebenfalls günstig (Grenzkosten).
Die Grenzkosten bestimmen derzeit maßgeblich den Strombörsenpreis. Neben diesem bestimmen aber noch andere Faktoren den Endkundenpreis für den einzelnen Stromverbraucher, zum Beispiel staatliche Subventionen. Zwei Experten, die ein gesamteuropäisches Energiesystem modelliert haben, sagen: Für ein sektorenübergreifend elektrifiziertes System rentiert sich Atomstrom nur, falls die Baukosten für die Kraftwerke deutlich sinken.
Quellen:
Interviews/Presseanfragen
Interview mit Alexander Wimmers, Technische Universität Berlin
Interview mit Leonard Göke, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich
Interview mit Mario Liebensteiner, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Veröffentlichungen
Bauermann, Tom u.a.: Ausbau der Stromnetze: Investitionsbedarfe. In: IMK Study (97). 2024.
Göke, Leonard; Wimmers, Alexander; von Hirschhausen, Christian: Flexible nuclear power and fluctuating renewables? — An analysis for decarbonized multi-vector energy systems. In: Energy Strategy Reviews (60). 2025.
UK energy bill payers will hand £2bn a year to EDF for new power stations: theguardian.com, 28.11.2025.
Kost, Bernhard u.a.: Stromgestehungskosten Erneuerbare Energien. Freiburg: 2024.
Lazard's Levelized Cost of Energy+ (June 2025): lazard.com
France's most powerful nuclear reactor connected to grid after 17-year build: lemonde.fr, 21.12.2024.
Schrems, Isabel und Fiedler, Swantje: Gesellschaftliche Kosten der Atomenergie in Deutschland. Eine Zwischenbilanz der staatlichen Förderungen und gesamtgesellschaftlichen Kosten von Atomenergie seit 1955. Berlin: 2020.
Das Atomkraftwerk in Gundremmingen ist bald überflüssig: sueddeutsche.de, 14.04.2016.
von Hirschhausen, Christian und Wimmers, Alexander: Rückbau von Kernkraftwerken und Entsorgung radioaktiver Abfälle in Deutschland: ordnungspolitischer Handlungsbedarf. In: Perspektiven der Wirtschaftspolitik (24). 2023.
Wealer, Ben u.a.: Zu teuer und gefährlich: Atomkraft ist keine Option für eine klimafreundliche Energieversorgung. In: DIW Wochenbericht (30). 2019, S. 511-520.
Wimmers, Alexander u.a.: Nuclear Power: Technology, Geopolitics, and Economics. Cham: Springer Nature, 2025.
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